Willkommen in der virtuellen Welt in Rot

Dieser Blog dient mehrerer Funktionen:
Einerseits um mit mir selbst ins Reine zu kommen, andererseits um interessierte Leser an den wissenschaftlichen Sozialismus von Karl Marx und Friedrich Engels heranzuführen.
Neben ideologischen Fragen werden hier bei Bedarf auch Themen aus der Alltagspolitik versucht darzustellen.

Mittwoch, 24. November 2010

Der Nationalismus

(Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von Laurenz G., welcher meine volle Zustimmung findet.)

I.) Der Nationalismus an sich ist zu unterteilen in zwei Formen: Den progressiven und den reaktionären. Ersterer zeichnet sich durch die Forderung eines Nationalstaates aus und ist progressiv in dem Sinne, dass ein Volk definiert als wie eine Nation verstandene Gesellschaft entweder in mehrere Staaten aufgeteilt ist, oder Teil eines größeren Vielvölkerstaates ist. Der Nationalismus ist hier die Forderung nach Selbstbestimmung, beispielsweise sind da die Bewegung zu Zeiten des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1866 zu nennen, als Deutschland in Partikularstaaten geteilt war, oder die unterschiedlichen Volksgruppen in der Sowjetunion, die nach deren Zusammenbruch ihre Unabhängigkeit (zurück-)erlangten, wobei man hier nicht immer zwingend von Nationalstaaten sprechen kann, da die Grenzen der neuen Länder nicht nach gesellschaftlichen, sondern nach den alten politischen Grenzen innerhalb der UdSSR gezogen wurden. Warum ist dieser Nationalismus als positiv zu bezeichnen? Per definitionem ist ein Staat ein Konstrukt einer politischen Ordnung, das Macht über ein bestimmtes Territorium und das dort lebende Volk ausübt. Unter der Prämisse, ein Staat müsse zum Wohle eben dieses Gebietes und der Bevölkerung handeln, stellt sich die Frage, wie seine Grenzen gezogen werden müssen, dass die Entscheidung des Staates für alle den größtmöglichsten Nutzen hätte - heute würde man sagen, am ehesten dem Willen der dort lebenden Menschen entsprechen würde (logischerweise unterscheiden sich die Menschen kulturell und gesellschaftlich an unterschiedlichen Orten). Hier hat sich in den letzten Jahrhunderten die Nation als Gesellschaft in sich als passendster Umriss für ein Staatskonstrukt erwiesen - in einer Nation findet sich die größte Schnittmenge an kulturellen Übereinstimmungen. Daraus schließt man, dass ein Nationalstaat die Basis für eine funktionierende demokratische Politik ist.

II.) Diese Art von Nationalismus, eben der progressive, ist nicht nach Idealen und Fantasien ausgerichtet, sondern nach der reinen Nützlichkeit. Was darauf aufbaut ist der reaktionäre Nationalismus, dieser erfüllt eine Funktion ähnlich wie die Religion als Beeinflussung und Lenkung einer Gesellschaft, wobei der Mensch von weltlichem Leiden, das heißt existenten Problemen, abgelenkt wird, indem ihm nationalistische und leicht glaubbare Illusionen vorgehalten werden. Der Mensch handelt nun nicht mehr danach, was das prüfbar beste sei, sondern nach seiner eigenen, subjektiven Vorstellung eines Konstruktes, das auf die materielle Welt keine Einflüsse hat. Der reaktionäre Nationalismus dient somit, wieder ebenso wie die Religion, im Kapitalismus dem Erhalt der bestehenden Strukturen, indem der Menschen von deren Fehlern abgelenkt wird; im Falle der Religion wird ihm die Vorstellung eines besseren Lebens nach dem Tode gegeben, die ihn dazu bringt, die Leiden des Weltlichen zu ertragen und zu dulden; im Falle des Nationalismus entsteht jedoch eine perfidere Täuschung: so wird die Herabwertung des Individuums indoktriniert, wofür ein als existent deklariertes Gebilde, was mit der Nation als Gesellschaft nichts mehr zutun hat, als oberstes Leitbild gepriesen wird. Da von oben nach unten gelehrt, hat die herrschende Klasse die Kontrolle über verschiedene Interpretationsrichtungen und Ausprägungen des reaktionären Nationalismus - je nachdem, wie es ihrer Politik gerade am besten kommt.

III.) Um auf den progressiven Nationalismus zurückzukommen: Die Erkenntnis vorausgesetzt, dass eine natürliche ebenso wie kulturelle Evolution stattfindet, bildet der Nationalstaat nur eine bestimmte Stufe innerhalb der kulturellen Weiterentwicklung eines Ordnungskonstrukts, von dem aus höhere Formen erstrebt werden können. So kann kein Vielvölkerstaat eine Grundlage für internationalistisch ausgeprägte Politik sein, denn einzelne Nationen innerhalb dessen werden sich im Handeln der Regierung als benachteiligt ansehen, etwas anderes ist de facto kaum möglich, und die Forderung nach einem eigenen Nationalstaat käme auf, was das Ende des Vielvölkerstaates bezeichnen würde. Wenn sich jedoch eine Gruppe von freien und souveränen Nationalstaaten zusammenschließt, immer noch unter der Wahrung eigener Interessen, weil sich aus der Gesamtmenge der staatlichen Grundeinstellungen eine ähnlich große Schnittmenge ergibt, wie die der Anschauungen und Auffassungen des Volkes innerhalb des Staates - ein Beispiel bietet das weitestgehend demokratisch geprägte Europa und dessen weiträumige Vereinigung in der EU - so stellt der Internationalismus ein Verlangen nach der Überwindung politischer, also zwischengesellschaftlich bestehender Grenzen dar, da eben diese Gesellschaften bereits beginnen, ineinander überzugehen. Dem reaktionären Nationalismus wäre diese Entwicklung ein Dorn im Auge, aufgrund der ihm eigenen verfälschten Vorstellungen verteidigt er das Festhalten an einem völlig unabhängigen und unbeeinflussten Nationalstaat - das vermeintliche Bilden von Nationalbewusstsein dient in solchen Situationen oft dem Individuum als Ersatz für Selbstbewusstsein - egal, ob sich dieser Konservatismus gegen die kulturelle Evolution stellt. Die Aufgabe des progressiven Nationalismus, die Befriedigung des Bedürfnisses nach einem erfolgreichen Nationalstaat, wäre erfüllt, indem das internationalistische Begehren aufkommt. Er wird als überflüssig empfunden und der Entwicklung kann unbehindert ihr Lauf gelassen werden.

IV.) Es ist also nicht korrekt, zu sagen, Nationalismus sei grundsätzlich falsch - es gilt zu differenzieren. Nationalistische Politik muss, wie jede andere auch, weltbezogen sein und sich nicht an Weltvorstellungen und Dogmen orientieren, sie darf der kulturellen Evolution nicht im Weg stehen, sondern hat diese zu fördern, nämlich durch die Erfüllung ihrer eigensten Funktion: Die Errichtung eines Nationalstaates und dessen erfolgreiche Lenkung zum Wohl der dort als Volk lebenden Gesellschaft, um auch so Grenzen innerhalb einer Gesellschaft und ebenso zwischen diesen abzubauen. Falsch ist es allerdings, an so einem Prinzip festzuhalten, noch nachdem es gemessen an seinen Aufgaben erfüllt ist - und das ist es heutzutage schon längst.

4 Kommentare:

  1. Jonathan, ich bin etwas enttäuscht von dir ^^ Ich hatte doch schon im SVZ geschrieben, dass eben diese Prämisse ("Unter der Prämisse, ein Staat müsse zum Wohle eben dieses Gebietes und der Bevölkerung handeln" )eine falsche ist somit auch nur Murks bei der Unterteilung in "guten" und "schlechten" Nationalismus herauskommt.

    "Daraus schließt man, dass ein Nationalstaat die Basis für eine funktionierende demokratische Politik ist. "

    Das unterstellt ja, dass eine gemeinsame Kultur auch gemeinsame Interessen bedeutet. Dass dem nicht so ist, sollte glaube ich klar sein. Ich habe mehr ein gemeinsames Interesse mit einem französischen Arbeiter als mit einem deutschen Kapitalisten. Vergesst den Nationalismus in seine Aufteilungen ganz schnell.

    Das hier sollte helfen:
    http://www.junge-linke.org/de/was_ist_nationalismus

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  2. Man kann der nationalistischen Bewegung in Deutschland 1813-1866 aber nicht einen progressiven Charakter abschreiben. Das Streben nach einen deutschen Nationalstaat gehörte in einer Zeit, wo das Bürgertum fortschrittlich war und die feudalen Reste reaktionär. Aus heutiger Sicht ist dieser Nationalismus selbstverständlich nichtmehr progressiv, was in den letzten Abschnitten auch klar gestellt wird: Ein heutiger progressiver Nationalismus wäre identisch mít einem zumindest europäischen Internationalismus.
    Engels und Marx waren tatkräfte Unterstützer der deutschen Einheitsbewegung. Es ist also durch und durch sinnvoll, wissenschaftlich zwischen einen progressiven und reaktionären Nationalismus zu unterscheiden.

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  3. Was war denn an der Forderung für diesen Nationalstaat progressiv? Höchstens wenn man sagt, die Errichtung eines bürgerlichen Staates sei eine Notwendigkeit für den Sozialismus, könnte ich teilweise zustimmen.
    Das Problem ist nur, dass davon im Text NICHT die Rede ist, sondern hier in der Staat in seiner Funktion und seinem Zweck völlig verklärt wird.

    Dinge wie "Die Errichtung eines Nationalstaates und dessen erfolgreiche Lenkung zum Wohl der dort als Volk lebenden Gesellschaft, um auch so Grenzen innerhalb einer Gesellschaft und ebenso zwischen diesen abzubauen" sind einfach völlig falsch, weil man weder von einem "Volk" in diesem Sinne noch von einem Staat, der zum Wohle aller handelt sprechen kann und darf. Das sollte dir doch zumindest auffalllen, als du versucht hast hier die Ableitung des bürgerlichen Staates zu veröffentlichen.

    Also könnte man wiegsagt den Nationalismus so hinbiegen, dass er progressiv ist (z.B. wenn eine Feudagesellschaft und kein bürgerlicher Staat herrscht), aber nur, um ihn im folgenden für den Sozialismus wieder abschaffen zu können.
    Nicht aber ist der Nationalismus unter dem Vorzeichen eines "guten" Staates für positiv zu erachten, da er eben, wie man heutzutage in der Gesellschaft sehr gut sieht, Zweck des Staates verklärt. Und das ist nunmal der Punkt, auf dem hier der progressive Nationalismus aufbaut (auch wenn du zu Beginn ein bisschen geändert hast) und somit meiner Meinung nach falsch ist.

    Über nationale Bestrebungen in einem Vielvölkerstaat müsste man sich nochmal gesondert unterhalten.

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  4. "Was war denn an der Forderung für diesen Nationalstaat progressiv?"

    Warum nicht? Das war genau eine solche progressive Forderung wie der Kampf des Bürgertums gegen den Adel progressiv gewesen ist.

    Ich gebe zu, dass der Artikel nicht vollkommen revolutionär ist, da er nicht die Abschaffung des bürgerlichen Nationalstaates erwähnt - ich denke, diesen Missstand sollte ich mit der Analyse des bürgerlichen Staates behoben haben.
    Innerhalb des Denkens bürgerlicher Beschränktheit ist die Aufhebung von Nationalstaaten zugunsten eines zentralen Europa-Staates aber durchaus progressiv. Und als Sozialist kann man sich hier durchaus an die eigene Nase fassen, wieso der bürgerliche Liberalismus in diesen Punkt während des Kalten Krieges fortschrittlicher war als der sozialistische Ostblock, derren Einigkeit nicht über Phrasen der Brüderlichkeit und des proletarischen Internationalismus hinaus ging.

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