Robert Owen übernahm 1800 die Leitung einer Baumwollen-Fabrik in New Lanarck. Er besaß eine materialistische Lebensphilosophie, d.h. er war überzeugt, dass die Verhältnisse und der Bildungsstand den Menschen ausmachen und dass eine idealistische Einteilung in gut und schlecht fehlerhaft ist.
Er sah, dass die Arbeiter seiner Fabrik am Existenzminimum lebten, dass sie ausgebeutet wurden und keine Lebensperspektive besaßen. Dies sei schädlich für die gesamte Gesellschaft, und da die Arbeiter den Wohlstand der Gesellschaft produzieren, auch moralisch unverantwortlich. Er trat also für eine moralischere Welt ein und war Vorkämpfer der Gewerkschaften.
Konsequenzen seines Denkens waren soziale Verbesserungen für seine Arbeiter. „Eine allmählich auf 2.500 Köpfe anwachsende, ursprünglich aus den gemischtesten und größtenteils stark demoralisierten Elementen sich zusammensetzende Bevölkerung wandelte er um in eine vollständige Musterkolonie, in der Trunkenheit, Polizei, Strafrichter, Prozesse, Armenpflege, Wohltätigkeitsbedürfnis unbekannte Dinge waren. Und zwar einfach dadurch, daß er die Leute in menschenwürdigere Umstände versetzte und namentlich die heranwachsende Generation sorgfältig erziehen ließ. Er war der Erfinder der Kleinkinderschulen und führte sie hier zuerst ein. Vom zweiten Lebensjahr an kamen die Kinder in die Schule, wo sie sich so gut unterhielten, daß sie kaum wieder heimzubringen waren. Während seine Konkurrenten 13-14 Stunden täglich arbeiten ließen, wurde in New Lanark nur 101/2 Stunden gearbeitet. Als eine Baumwollkrisis zu viermonatlichem Stillstand zwang, wurde den feiernden Arbeitern der volle Lohn fortbezahlt.“ Sein Ziel, durch Belohnungen und soziale Mindeststandarts das Engagement seiner Arbeiter zu steigern, ging zwar auf, es reichte jedoch nicht aus, um sich gegen die kapitalistische Konkurrenz erfolgreich zu wehren. Andere Kapitalisten wollten sein Sozialkapitalismus nicht übernehmen und setzten auf kurzfristige Gewinne. Owen und seine Arbeiter wurden aus dem Markt gedrängt.
Owen ist mit seinem Projekt einer humaneren Gesellschaft also gescheitert. Dabei war er von seinem Selbstverständlich her nicht irgendein moralischer Kapitalist, sondern Sozialist gewesen ist. Er erkannte die tiefgreifende Dialektik aus Armut und Reichtum durchaus: "die Leute waren meine Sklaven";
"Und doch produzierte der arbeitende Teil dieser 2.500 Menschen ebensoviel wirklichen Reichtum für die Gesellschaft, wie kaum ein halbes Jahrhundert vorher eine Bevölkerung von 600.000 erzeugen konnte. Ich frug mich: Was wird aus der Differenz zwischen dem von 2.500 Personen verzehrten Reichtum und demjenigen, den die 600.000 hätten verzehren müssen?"
Owen war auch in der Politik aktiv. Er hatte ebenso viel Bewunderer, wie er wenig Nacheiferer hatte. Doch da er moralisch richtig handelte, reichte sein Einfluss aus, um soziale Besserungen für Arbeiter auf Gesetzesgrundlage zu bewirken. Bspw. setzte er 1819, nach fünfjähriger Anstrengung, das erste Gesetz zur Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit in den Fabriken durch. Er präsidierte dem ersten Kongreß, auf dem die Trades Unions von ganz England sich in eine einzige große Gewerksgenossenschaft vereinigten.
Bis 1823 war Owen Sozialist, d.h. er betrachtete die Kapitalisten und die Regierungen selbst als verantwortlich für die Soziale Frage. Doch als er begann, die Eigentumsfrage zu stellen, wandelte er sich gar zum Kommunisten. Verbannt aus der offiziellen Gesellschaft, totgeschwiegen von der Presse, verstoßen von den oberen Gesellschaftssichten floh er nach Nordamerika, wo er reine Genossenschaftsbetriebe gründete und die Produktionsmittel im Allgemeineigentum lagen.
Doch auf den Owenschen Kommunismusversuch lastete ein Fluch: Er wollte die Welt vom Kapitalismus befreien, als diese die kapitalistische Entwicklung noch gar nicht vollendet hat.
Diese historische Situation beherrschte auch den Geist Owens. Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage, entsprachen zwangsweise unreife Theorien. Die Lösung der sozialen Missstände, die in den unentwickelten ökonomischen Verhältnissen noch z.T. verborgen lag, sollte aus reiner Geisteskraft erzeugt werden. Es handelte sich darum, ein neues, humanes System der gesellschaftlichen Ordnung zu erfinden und dies der Gesellschaft von außen her, durch das Beispiel von Musterexperimenten aufzuzwingen. Diese neuen sozialen Systeme waren von vornherein zur Utopie verdammt; je weiter sie in ihren Einzelheiten ausgearbeitet wurden, desto mehr mußten sie in reine Phantasterei verlaufen.
Ich mache Robert Owen also keinerlei Vorwürfe. Sich die materialistische Philosophie der französischen Schule anzueignen und die Konsequenzen dieser philosophischen Denkart in die Tat umzusetzen oder umzusetzen zu versuchen, war mehr, als man für Männer der damaligen Zeit erwarten konnte. Dass er letztlich gescheitert ist war nicht Ausdruck seines Unvermögens, sondern der barbarischen Wesensart des Kapitalismus: Sein oder Nichtsein, wo man sich keine Fehltritte und soziale Experimente erlauben darf. Die Bedingungen herauszuarbeiten, inwiefern eine Befreiung vom kapitalistischen Wirtschaftssystem möglich ist und eine humane Gesellschaft zu schaffen ist, blieb 50 jahre später Karl Marx vorbehalten. Das aber nicht, weil Marx geistreicher als Owen gewesen ist, sondern weil erst 50 Jahre später sich der Kapitalismus und die Klassengegensätze genügend entwickelt haben, um diese überhaupt erst formulieren zu können.
Quellen:
Friedrich Engels: "Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft", in: Karl Marx/Friedrich Engels - Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 19
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