Gesellschaftliche Stellung des Staates
Der politische Staat ist der Überbau der ökonomischen Basis des Kapitalismus.
Marx´ Überlegung hierzu „mündete in dem Ergebnis, dass Rechtsverhältnisse wie Staatsformen weder aus sich selbst zu begreifen sind noch aus der so genannten allgemeinen Entwicklung des menschlichen Geistes, sondern vielmehr in den materiellen Lebensverhältnissen wurzeln, deren Gesamtheit Hegel, nach dem Vorgang der Engländer und Franzosen des 18. Jahrhunderts, unter dem Namen ,bürgerliche Gesellschaft‘ zusammenfasst, dass aber die Anatomie der bürgerlichen Gesellschaft in der politischen Ökonomie zu suchen sei.“ (MEW 13, S.8)
Dabei ist dieser staatliche Überbau -im Gegensatz zur Religion- keineswegs rein sekundären Charakters. Auf dem staatlichen Überbau spielt sich der Kampf der gegensätzlichen ökonomischen Klassen um die herrschende Form der Ökonomie ab. Die Eroberung der politischen Macht für die Arbeiterklasse hat uneingeschränkte Priorität für die proletarische Bewegung. Aber Eroberung der politischen Macht heisst nicht die Übernahme des herrschenden Staatsapparates, sondern dessen Vernichtung und Ersetzung durch eine neue Form des proletarischen Staates.
„Wir müssen den Regierungen erklären: Wir wissen, dass ihr die bewaffnete Macht seid, die gegen die Proletarier gerichtet ist; wir werden auf friedlichem Wege gegen euch vorgehen, wo uns das möglich sein wird, und mit den Waffen, wenn es notwendig werden sollte.“ (MEW 17, S. 652)
Dies setzt voraus, dass die organisierte Arbeiterklasse die staatlichen Machtzentren beherrschen muss, möglichst ohne dabei Rücksicht nehmen zu müssen auf eventuelle (klein-)bürgerlichen Koalitionspartnern.
„Die Eroberung der politischen Macht bleibt das Endziel und das Endziel bleibt die Seele des Kampfes. Die Arbeiterklasse darf sich nicht auf den dekadenten Standpunkt des Philosophen stellen: „Das Endziel ist mir nichts, die Bewegung ist mir alles“; nein, umgekehrt: die Bewegung als solche ohne Beziehung auf das Endziel, die Bewegung als Selbstzweck ist mir nichts, das Endziel ist uns alles.“ (Rosa Luxemburg, Reden auf dem Stuttgarter Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands)
Diktatur des Proletariats
Nach der Eroberung der politischen Macht errichtet die Arbeiterklasse die Diktatur des Proletariats. Warum nun Diktatur? Diktatur scheint ein Begriff zu sein, das für großes Entsetzen sorgt. Dabei ist gerade die Diktatur des Proletariats zentraler und notwendiger Bestandteil einer sozialistischen Gesellschaft. Wer von der Diktatur des Proletariats nicht redet, sollte vom Sozialismus schweigen. „Diktatur des Proletariats“ bezeichnet ursprünglich eine rein auf ökonomische Prinzipien reduzierte Herrschaftsform. Der Arbeiterklasse wird durch Sozialisierung der Produktionsmittel, des Grundeigentums und des Finanzkapitals die Möglichkeit gegeben, als herrschende, d.h. als aktiv gestaltende Klasse die Verantwortung über sämtliche Wirtschaftsbereiche des Staates zu übernehmen. Damit löst sie die Bourgeoisie als herrschende Klasse ab. Kapitalismus, ob in einer demokratischen oder faschistischen Staatsform integriert, ist daher notwendigerweise gleichzeitig eine Diktatur der Bourgeoisie. Die eine Diktatur löst nur die andere Diktatur ab, aber mit den großen Unterschied, dass die ökonomische Diktatur des Proletariats erstmals in der Geschichte der Menschheit von der Mehrheit der Bevölkerung ausgeübt ist, also identisch ist mit einer politischen Demokratie. Der Beweis hierfür liegt bei Marx selbst: In seiner Schrift „Der Bürgerkrieg in Frankreich“ preist er die Pariser Kommune als Gesellschaftsmodell der Zukunft und bezeichnete sie als Diktatur, obwohl sie rätedemokratisch organisiert war.
„Die [Pariser] Kommune musste gleich von vornherein anerkennen, dass die Arbeiterklasse, einmal zur Herrschaft gekommen, nicht fortwirtschaften könne mit der alten Staatsmaschine; dass diese Arbeiterklasse, um nicht ihrer eigenen, erst eben eroberten Herrschaft wieder verlustig zu gehen, einerseits alle die alte, bisher gegen sie selbst ausgenutzte Unterdrückungsmaschinerie beseitigen, andererseits aber sich sichern müsse gegen ihre eigenen Abgeordneten und Beamten, indem sie diese, ohne alle Ausnahme, für jederzeit absetzbar erklärte ...
Diese Sprengung der bisherigen Staatsmacht und ihre Ersetzung durch eine neue, in Wahrheit demokratische, ist im dritten Abschnitt des Bürgerkriegs (Stellungnahme von Marx zur Pariser Kommune) eingehend geschildert ...
Der sozialdemokratische Philister ist neuerdings wieder in heilsamen Schrecken geraten bei dem Wort: Diktatur des Proletariats. Nun gut, ihr Herren, wollt ihr wissen, wie diese Diktatur aussieht? Seht euch die Pariser Kommune an. Das war die Diktatur des Proletariats.“ (MEW 17, S. 623ff)
Der Diktaturbegriff hat sich in den letzten 100 Jahren zweifellos geändert und erfährt eine zurecht vollständig negative Bedeutung aufgrund des totalitären Faschismus der 30er und 40er Jahre. Doch selbst im 21. Jahrhundert können sich Marxisten nicht von diesen Diktaturbegriff verabschieden – denn der Begriff „Diktatur des Proletariats“ erzeugt eine notwendige scharfe Abgrenzung zu halbherzigen, utopisch-idealistischen Sozialisten, welche das Großkapital verstaatlichen, den größten Teil der Privatwirtschaft aber unverändert belassen wollen.
Funktion und Wesen des Staates
Um den eigentlichen Übel auf dem Grund zu gehen, müssen wir die Struktur des Staates näher bestimmen. Der Unterschied zwischen den bürgerlichen Staat und der feudalen Nation ist, dass im Feudalismus ökonomische Herrschaft noch identisch war mit politischer Herrschaft; sprich die ökonomischen Herrscher des Feudalismus (Grundherren und Herren über Leibeigene) war der Adelsstand selbst, welcher auch die Regierung im mittelalterlichen Sinn stellte. In der bürgerlichen Gesellschaft ist dies getrennt. Während die Bourgeoisie die Herrscher im Bereich der Ökonomie sind, wird die Politik beherrscht von einen Heer aus Beamten und Bürokraten, die aus jeden gesellschaftlichen Stand kommen können. Somit fehlt es der heutigen ökonomischen Herrschaft an persönlichen Charakter und so kommt es, dass einzig die Politik als bedeutendes Machtfeld gesellschaftlich anerkannt wird, während nur Wenige die Namen der bedeutensten Kapitalisten kennen. Der Staat an sich und der bürgerliche Staat insbesonders ist ein politisches Gewaltinstrument der herrschenden Klasse (hier der Bourgeoisie) zur Sicherung ihrer ökonomischen Herrschaft über die ausgebeutete Klasse (hier das Proletariat). Er ist solange nötig, wie Klassengegensätze bestehen.
"Da der Staat entstanden ist aus dem Bedürfnis, Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Konflikt dieser Klassen entstanden ist, so ist er in der Regel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, die vermittelst seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und Ausbeutung der unterdrückten Klasse." (MEW 21, S.166f)
Dies hat zur logischen Konsequenz, dass der Staat nicht -wie heute irrtümlicherweise Konsens ist- über der Gesellschaft, sondern gegen die Gesellschaft steht. Solange es den Staat selbst gibt, solange ist keine gesellschaftliche Demokratie in seiner Reinform möglich. Staatliche Demokratie bedeutet letztendlich auch nur eine Form der Herrschaft, politisch eine Herrschaft der Mehrheit zur Unterdrückung der Minderheit, ökonomisch gar ist die bürgerliche Demokratie die Herrschaft einer Minderheit zur Unterdrückung der Mehrheit. Herrschaft, Staat und Diktatur sind jeweils identische Begriffe.
Zur Charakterisierung der Bourgeoisie ist zu sagen, dass diese momentan herrschende Klasse kein einheitliches Bewusstsein besitzt. Ihre Interessen sind meist so verschieden, dass ihr einziger Konsens die Verteidigung kapitalistischer Eigentumsrechte ist. In all den anderen Fällen sorgen die Zwangsgesetze der Konkurrenz auch auf staatlicher Ebene zu unterschiedlichen Interessen einzelner Bourgeois-Gruppen. Die Lobbygruppe „Bundesverband Erneuerbare Energie e.V“ würde deshalb eine SPD-geführte Regierung unterstützen, während E.ON aus verständlichen Gründen eine eher CDU-geführte Regierung unterstützen würde.
Jede staatliche Maßnahme, jedes Gesetz ist umstritten und bringt den einen Unternehmen überwiegend Vorteile, den anderen überwiegend Nachteile. Die Politik des bürgerlichen Staates ist nicht fix festgeschrieben, sondern setzt einen permanenten Prozess voraus, den die Ermittlung des kapitalistischen Gesamtinteresses dient und nach Maßnahmen zu dessen Umsetzung sucht. Welches Interesse durchgesetzt wird, bestimmt den Einfluss der miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen auf die Medien und somit auf die Öffentlichkeit, das Parlament und die Regierung. Der durch sozialdemokratische Politiker oft attackierte Lobbyismus von Wirtschaftsverbänden als Mittel zur Erringung von Einfluss auf die Politik ist keine Verletzung der Regeln, sondern die Art und Weise, in der die Suche nach Konsens in einer parlamentarischen Demokratie stattfindet.
Dem Staat steht das Gewaltmonopol bzw. das Monopol legitimer Gewaltausübung zu, d.h. nur staatliche Organe wie Polizei, Militär usw. ist es legal erlaubt, Gewalt anzuwenden (eine Ausnahme bildet die Notwehr).
Überhaupt gibt es einen Zusammenhang zwischen einem Erstarken der sich selbst bewussten Arbeiterklasse und der herrschenden bürgerlichen Staatsform. Der bürgerliche Staat ist demokratisch, solange die nationale Bourgeoisie keine Angst hat, durch revolutionäre Bewegungen vernichtet zu werden, solange sie sich sicher ist, dass ihre herrschende Funktion nicht gefährdet wird durch eine bewusst-revolutionäre Arbeiterklasse. Der bürgerliche Staat ist aber faschistisch, wenn die Gefahr des Umsturzes tatsächlich besteht, wie dies 1932 der Fall gewesen ist; damals in Gestalt einer stetig stärker werdenden Kommunistischen Partei. Der gelenkte Übergang zum Faschismus war die einzige Möglichkeit der Bourgeoisie, einen derart repressiven, reaktionären Herrschaftsapparat zu schaffen, der imstande war, die von der KPD ausgehenden Gefahren zu ersticken und zu kontrollieren. Dabei musste die deutsche Bourgeoisie Eingeständnisse an die faschistische Partei machen, wie z.B. einer erhöhte staatliche Lenkung der Wirtschaft und das Aushölen der bourgeoisen Ideologie (den Liberalismus).
Verschwörungstheorien, die besagen, die Politik sei Marionette des Kapitals, sind falsch. Sie wird nicht durch abstrakte Hintertürchen-Personen gesteuert, sondern ist Ausdruck der gegenwärtigen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse. Der Staat ist ein einfaches Werkzeug der Bourgeoisie, nicht durch den Einfluss von außen, sondern durch seiner Struktur und Funktion an sich.
„Die zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit stammt her aus den Zeiten der absoluten Monarchie. ... Während der nachfolgenden Herrschaftsformen wurde die Regierung unter parlamentarische Kontrolle gestellt, d.h. unter die direkte Kontrolle der besitzenden Klassen. Einerseits entwickelte sie sich jetzt zu einem Treibhaus für kolossale Staatsschulden und erdrückende Steuern und wurde vermöge der unwiderstehlichen Anziehungskraft ihrer Amtsgewalt, ihrer Einkünfte und ihrer Stellenvergebung der Zankapfel für die konkurrierenden Fraktionen und Abenteurer der herrschenden Klassen andererseits änderte sich ihr politischer Charakter gleichzeitig mit den ökonomischen Veränderungen der Gesellschaft. In dem Maß, wie der Fortschritt der modernen Industrie den Klassengegensatz zwischen Kapital und Arbeit entwickelte, erweiterte, vertiefte, in demselben Maß erhielt die Staatsmacht mehr und mehr den Charakter einer öffentlichen Gewalt zur Unterdrückung der Arbeiterklasse, einer Maschine der Klassenherrschaft.“ (K. Marx, Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, 336.)
Doch wie sieht die bürgerliche Staatsform im gegenwärtigen 21. Jh. aus, welche die Arbeiterklasse erobern muss? Welche Funktionen hat die bürgerlich-parlamentarische Demokratie, der Sozialstaat und der Rechtsstaat, kurz, die „Freiheitlich-Demokratische Grundordnung“ (FDGO) allgemein?
Parlamentarische Demokratie
Die bürgerliche Demokratie, wie sie heute in der Bundesrepublik Deutschland existiert, ist die ideale Herrschaftsform der Bourgeoisie. Sie bietet verschiedene Möglichkeiten zur Einflussnahme: Beamtenkorruption, Staatsschulden und die daraus resultierende Abhängigkeit des Staates von der Börse („Allianz zwischen Staat und Börse“).
Die Demokratie, die durchaus besteht, spiegelt sich insofern wider, dass alle Bürger periodisch alle vier Jahre eine Partei und die Kandidaten einer Partei wählen können. Sie gefährdet momentan keineswegs die kapitalistische Wirtschaftsform, solange kein Klassenbewusstsein der Arbeiter besteht, solange das Proletariat noch nicht reif ist zu seiner Selbstbefreiung und damit die herrschende Ordnung als einzig mögliche anerkennt. Allerdings sind die bestehenden politischen Rechte zumindest theoretisch -warum sie es praktisch nicht sind, sehen wir weiter unten- ausreichend, um die Diktatur der Bourgeoisie legal auszuhebeln – vorausgesetzt, das Proletariat entwickelt wieder ein Klassenbewusstsein, der Klassenkampf wird von unten angeheizt und eine marxistische Partei erlangt die Mehrheit an Stimmen. Bislang ist keine der drei Voraussetzungen gegeben.
Doch wie ist es möglich, dass der Staat ein Instrument der herrschenden Klasse ist, wenn doch gerade der liberale Staat Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz und freiheitliche Bürgerrechte garantiert?
Ich halte die verbreitete Theorie, dass diese Grundsätze nur bürgerliche Propaganda wären und sich der bürgerliche Anspruch von der Wirklichkeit stark unterscheide, für eine Verschwörungstheorie von idealistischen Sozialisten und lehne sie ab – auch wenn es unbestritten ist, dass die schwarz-gelbe Regierung gerade Gesetze für Besserverdiener erlässt und einzelne Kapitalfraktionen (wie die Atomindustrie) versuchen, Einfluss auf die Regierung zu nehmen.
Diese idealistischen Sozialisten wollen bürgerliches Recht und Grundwerte nicht abschaffen und ersetzen, sondern es tatsächlich erfüllen. Hierzu zählen der linke SPD-Flügel und der Großteil der Linkspartei-Mitglieder. Die Konsequenz hierraus wäre, dass diese Sozialisten nur eine andere Verwendung bzw. Politik des Staates fordern, welches das Gemeinwohl stärker betont und mehr auf die sozialen Rechte der unteren Klassen achtet. Diese reformistischen Einstellungen, meist verkleidet unter der Worthülse des „demokratischen Sozialismus“, versuchen deshalb Regierungsbeteiligungen ihrer Partei zu erreichen, um eine „bessere“ Politik durchzuführen. Wenn DIE LINKE. 2013 in einer Koalition mitregieren wird, so wird sie von ihren eigenen Ansprüchen enttäuscht werden. Der rechte Flügel wird diese Enttäuschungen als notwendige Komprommise in einer demokratischen Koalition rechtfertigen; der linke Flügel wird sich verärgert über den „Verrat“ des rechten Flügels und wegen den Ärger auf sich selbst absondern.
Es liegt an der Struktur der bürgerlichen Demokratie, dass ein Ändern der Verhältnisse, geschweige denn ein durch Reformen unterstützter Übergang zum Sozialismus innerhalb der Existenz des bürgerlichen Staates, nicht möglich ist. Auch wenn ein Politiker noch so soziale, humanistische und edle Absichten hat: Ist er erst an der Regierung oder in einflussreicher Stelle innerhalb der parlamentarischen Opposition, wird er gezwungen sein, sich -wie jeder seiner Vorgänger auch- am kapitalistischen Gesamtinteresse zu orientieren (bestes gegenwärtiges Beispiel: Präsident Obama). Dies liegt (wenigstens meistens) nicht daran, weil dieser von der Wirtschaft bestochen worden wäre oder in sonstiger Abhängigkeit zu ihr steht, sondern weil verschiedene strukturbedingte Verhältnisse und Einflüsse ihn in seinem Handlungsrahmen einengen:
Um eine regierungsfähige Mehrheit zu erhalten, müssen möglichst viele Interessen und Werthaltungen angenommen werden, die sich auch gegenseitig widersprechen (Beispiel „Volkspartei“). Der Wahlkampf wird dann nicht dadurch bestimmt, möglichst viele Verbesserungsvorschläge einzubringen, sondern die angenommenen Widersprüche möglichst verdeckt zu halten oder versucht zu widerlegen.
Teile der Medien müssen einen respektieren bzw. ernst nehmen und unterstützen. Als Voraussetzung müssen die gemachten Verbesserungsvorschläge „realisierbar und umsetzbar“ sein.
Ebenso müssen Koalitionspartner gefunden werden, welche die Verbesserungsvorschläge ebenso für „realisierbar und umsetzbar“ halten.
Vor dem möglichen Regierungsantritt durchläuft jede Partei also bereits einen ausführlichen Erziehungsprozess, in dessen Verlauf die Notwendigkeit zur Anpassung am kapitalistischen Gesamtinteresse immer deutlicher hervortritt (beispielsweise den Druck, den die SPD auf die Linkspartei ausübt, wenn sie von dieser „Regierungsfähigkeit“ fordert oder den Druck des Innenministers de Maizières, der eine weitere staatliche Beobachtung der Partei vom 2011 zu beschließenden Parteiprogramm der Linkspartei abhängig macht). Man merkt, umfassende Demokratie ist schon deshalb im Kapitalismus nicht möglich, weil dieser den politischen Akteuren einen engen Handlungsrahmen vorlegt, außerhalb dessen keine „realisierbare“, weil systemsschädigende Maßnahmen möglich seien. Wer Mehrheiten erreichen will, muss sich dem Druck der angepassten Parteien und der Medien ebenfalls anpassen, da das Wählerverhalten sehr stark von der herrschenden Medienlandschaft – und sei sie noch so monoton – beeinflusst oder sogar kontrolliert wird.
Eine weitere wichtige Funktion des bürgerlichen Staates ist seine Rolle als ideeller Gesamtkapitalist:
Der Staat ist wie ein jedes private Wirtschaftsunternehmen auch auf eine funktionierende Kapitalakkumulation angewiesen. Steuereinnahmen müssen die Sozialausgaben und sonstige Haushaltsabgaben decken bzw. übertreffen, will der Staat den Sozialstaat aufrecht erhalten, seine Wirtschaft nachhaltig fördern und internationale Handlungsfähigkeit sicherstellen. Man erkennt, wie bereits oben erwähnt, dass der bürgerliche Staat nicht allein durch verschiedene Einflüsse der Konzernen und Finanzwelt zu dem gemacht wird, was er ist, sondern in seinem Wesen bereits automatisch an die kapitalistische Wirtschaftsweise gebunden ist und den Interessen der Bourgeoisie entsprechen muss („systemische Imperative der Kapitalverwertung“).
Nicht selten setzen daher linke Parteien, wenn sie endlich in der Regierung angekommen sind, in wesentlichen Punkten die Politik der gerade abgelösten Vorgänger fort. Auch DIE LINKE. wird sich an diesen Gesetzen halten müssen, falls sie nicht bereit ist, aus diesem automatischen Teufelskreis auszubrechen – diese Erfahrungen mussten bereits SPD und Bündnis90/Die Grünen im 20. Jh. machen.
„Alle Regierungen, seien sie noch so unabhängig, sind in letzter Instanz nur die Vollstrecker der ökonomischen Notwendigkeiten der nationalen Lage. Sie mögen diese Aufgabe in verschiedener Weise gut, schlecht oder leidlich besorgen; sie mögen die ökonomische Entwicklung beschleunigen oder hemmen, aber schließlich müssen sie ihr doch folgen.“ ( MEW 38, S. 365)
„In der Tat, man muss jeder historischen Kenntnis ermangeln, um nicht zu wissen, dass es die Regierungen sind, die zu allen Zeiten sich den wirtschaftlichen Verhältnissen fügen mussten, aber niemals die Regierungen es gewesen sind, welche den wirtschaftlichen Verhältnissen das Gesetz diktiert haben. Sowohl die politische wie die zivile Gesetzgebung proklamieren, protokollieren nur das Wollen der ökonomischen Verhältnisse.“ (MEW 4, S. 109)
Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie ist also die ideale Staatsform des Kapitalismus. Nur sie ist in der Lage, Interessen der Bourgeoisie so perfekt zu tarnen, dass sie auch im Interesse der arbeitenden Bevölkerung ständen. Legitimation ist dann am meisten erreicht, wenn staatliche Politik durch Abgeordnete eines Parlamentes abgesegnet wird, die von den Werktätigen selbst gewählt worden sind. Sozialleistungskürzungen zum Beispiel werden in privaten Medien unter unterschiedlichen Geschichtspunkten diskutiert und innerhalb Institutionen demokratischer Willensbildung (Parteien, Parlamente, Ausschüsse) beschlossen und durchgesetzt. Dies erschafft den Gesetzen eine erhebliche Legitimation, was umso weniger den staatlichen Repressionsapparat zu deren Umsetzung notwendig macht. Eine Ausschaltung demokratischer Institutionen und der Pressefreiheit sind daher mit erheblichen materiellen Kosten verbunden und nicht im Interesse der Bourgeoisie. Entwickelte kapitalistische Länder fördern also eine Demokratie und lehnen autoritäre Herrschaftsordnung wie Militärdiktaturen aus Eigeninteresse ab.
Die Legitimation und damit auch die Sicherung der herrschenden Ordnung ist auch deshalb in der Demokratie am höchsten, weil periodisch wiederkehrende freie, geheime, gleiche und unmittelbare Wahlen den Bürgern die Möglichkeit geben, unliebe Politiker und Regenten abzuwählen und durch neue Namen zu ersetzen. Die jeweilige Regierung legitimiert ihre Gesetze dadurch, dass sie gewählt und deshalb von der mehrheitlichen Bevölkerung gewollt sei. Steigt der Unmut der Bevölkerung gegenüber den sinkenden sozialen Verhältnissen z.B. während einer Wirtschaftskrise, so erreichen Wahlen einerseits die Abwahl der scheinbar Verantwortlichen und bietet somit ein Ventil, andererseits lenken Wahlen aber auch gezielt von systemischen Problemen in Politik und Ökonomie ab und lenken die Aufmerksamkeit der unruhigen Bevölkerung gegen einzelne Politiker und Parteien. Auch hier erkennt man den grundlegenden Gegensatz zwischen bürgerlicher und sozialistischer Definition des Wortes „Demokratie“: Die bürgerliche Definition bedingt die Möglichkeit zur Abwahl der Regierung, die sozialistische Definition bedingt die direkte Herrschaft der Mehrheit des Volkes über den Staatsapparat. Innerhalb bürgerlicher Gesellschaften ist das Maximum an Demokratie bereits hergestellt.
Auch die Gewaltenteilung steht -anders als es uns bürgerliche Medien tagtäglich einzureden versuchen- im Gegensatz zur Demokratie. Die Trennung der Judikativen von der Legislativen erlaubt es, dass denkbare demokratisch gefasste Beschlüsse zur Aufhebung der bürgerlichen Eigentumsordnung durch eine scheinbar unabhängige, in der Realität aber bürgerlichen Justiz aufgehoben werden können.
Der Rechtsstaat
Der Rechtsstaat ist der eigentliche Garant kapitalistischer Verhältnisse:
Der Begriff „Gleichheit“ ist rechtlich gewährleistet. Jeder hat die gleichen Rechte und Pflichten, egal ob Lohnarbeiter oder Kapitalist. Dies mag auf dem ersten Blick zufriedenstellend klingen, verliert aber an Symphathie, wenn man bedenkt, dass gerade durch die gesetzliche Gleichheit das Eigentum des Kapitalisten an seinen privaten Produktionsmittel gegenüber dem eigentumslosen Lohnarbeiter gesichert wird. Jeder, ob HartzIV-Empfänger oder DB-Chef, kann Aktien kaufen, der Tellerwäscher kann zum Millionär werden und der Millionär kann zum Tellerwäscher werden. Abstrakte rechtliche Gleichheit erzeugt so konkrete soziale Ungleichheit. Das durch das Grundgesetz garantierte Eigentum ist der Garant zur Verteidigung kapitalistischer Verhältnisse.
Jeder Privateigentümer muss den anderen als solchen anerkennen, Aneignung fremden Eigentums ist nur erlaubt durch Kauf, Tausch, Vererbung oder Schenkung. Diese Neutralität des Staates gegenüber seinen Bewohnern ist nicht nur eine Wortphrase, wie manche Linkspolitiker glauben, sondern tatsächliche Realität.
Der Begriff „Freiheit“ beschreibt ökonomisch vorallem das freie Verhältnis des Lohnarbeiters zu seinem Kapitalisten: Er kann sich seinen Arbeitgeber frei aussuchen und kündigen, wenn es ihm passt. Allerdings eben mit der Einschränkung, dass die Lohnarbeiter ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überhaupt überleben zu wollen. Persönliche Unabhängigkeit bedeutet im Kapitalismus trotzdem systematische Abhängigkeit. Der Zwang der eigentumslosen Lohnarbeiter, zur Sicherung ihrer Existenz ihre Arbeitskraft an einen beliebigen Arbeitgeber zu verkaufen, garantiert erst die Möglichkeit des kapitalistischen Produktionsprozesses. Sein Lohn reicht gerade zur eigenen oder familiären Reproduktion.
„Die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches, innerhalb deren Schranken Kauf und Verkauf der Arbeitskraft sich bewegt, war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham. Freiheit! Denn Käufer und Verkäufer einer Ware, z.B. der Arbeitskraft, sind nur durch ihren freien Willen bestimmt. Sie kontrahieren als freie, rechtlich ebenbürtige Personen. Der Kontrakt ist das Endresultat, worin sich ihre Willen einen gemeinsamen Rechtsausdruck geben. Gleichheit! Denn sie beziehen sich nur als Warenbesitzer aufeinander und tauschen Äquivalent für Äquivalent. Eigentum! Denn jeder verfügt nur über das Seine. Bentham! Denn jedem von den beiden ist es nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen.“ (MEW 23, S. 189f.)
Bentham war ein englischer Philosoph, der eine auf dem Nützlichkeitsprinzip begründete Ethik vertrat.
Der bürgerliche Rechtsstaat setzt einen formalen Rahmen um das System der kapitalistischen Ausbeutung und erzwingt die Einhaltung diesen Rahmens durch sein Gewaltmonopol. Deshalb ist es unumgänglich für jeden Marxisten, diesen bürgerlichen Rechtsstaat den Kampf anzusagen – was nicht bedeutet, dass ein sogenannter „Unrechtsstaat“ diesen Rechtsstaat ersetzen sollte.
In der Anfangsphase der kapitalistischen Entwicklung hatte der Staat noch eine ganz andere Funktion. Er musste eben diese Entwicklung garantieren, indem er bei der Verwandlung des Großteil seines Volkes in Lohnarbeiter half und den Kapitalismus im entstehenden Prozess stützte. Nur mit der Unterstützung staatlicher Gewaltmaßnahmen hatte der Kapitalismus überhaupt die Chance, sich nachhaltig zu etablieren.
Dies alles hat Adam Smith in seiner Aufzählung staatlicher Pflichten im liberalen System nicht erkannt. Jedoch muss eine staatliche Pflicht, die bereits Smith genannt hatte, hier nochmal Erwähnung finden: Der Staat hält auch alle Institutionen am Leben, die zwar gesellschaftlich notwendig sind, jedoch kein profitablen Gewinn abwerfen können, die eine Privatisierung dieser Einrichtung bedingen. Er gewährleistet all jene materiellen Bedingungen der kapitalistischen Gesellschaft, die der Kapitalismus selbst nicht übernehmen kann. Hierzu zählen Krankenhäuser, Kindergärten, Schulen, allgemein sämtliche Infrastrukturnetze, Zentralbank und Forschungseinrichtungen. Somit trägt der bürgerliche Staat in seinem Wesen automatisch Sorge dafür, dass er die Voraussetzung bietet für eine mögliche profitable Akkumulation der Privatwirtschaft.
Der Sozialstaat
Die Durchsetzung des Sozialstaates, begonnen unter der Kanzlerschaft Bismarcks und perfektioniert unter dem bürgerlichen Politökonomen Ludwig Erhard, ist nicht Folge einer Ablehnung der sozialen Missstände vonseiten der herrschenden Elemente, auch der oppositonelle Druck der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften ist nicht primär für den Sozialstaat verantwortlich. Er entspringt vielmehr der simplen Logik, dass der Kapitalismus -will er möglichst reibungslos funktionieren- genügend Lohnarbeiter zu seiner Akkumulation benötigt.
Nun hängt dem Kapital der leidige Missstand an, dass er stets danach strebt, aus seinen Lohnarbeitern ein Maximum an Arbeitskraft herauszupressen (z.B. Forderungen nach erhöhter Leistungsbereitschaft, Arbeitszeitverlängerung, Lohnsenkungen usw...). Dies würde dazu führen, dass die Lohnarbeiter nichtmal mehr die Zeit/Kraft finden, ihre alltägliche Reproduktion vollständig auszuführen. Der Konkurrenzdruck untereinander zwingt die Unternehmer zur permanenten Lohndrückung und ständiger Ausnutzung jedermöglichen Einsparung in Form von z.B. Kurzarbeit, Annahme von Leih- und Zeitarbeitern, um eine immer steigende Verwertung zu erhalten. Dieser Trieb ist verantwortlich dafür, dass das Kapital die Tendenz besitzt, die Grundlage seiner Akkumulation, die Arbeitskraft, zu zerstören. Und da selbst die Anzahl an potenziellen Lohnarbeitern begrenzt ist, muss der Staat durch soziale Zwangsgesetze diesen Prozess abmildern und das Arbeitskraftreservoir schützen. Dies geschieht durch z.B. staatlich geregelte feste Arbeitszeiten, Mindestlöhne, Arbeitslosengeld, Sozialhilfe, aber auch durch die Errichtung staatlicher Krankenkassen und den Ausbau öffentlicher Krankenhäuser. Der Sozialstaat sorgt demnach dafür, dass Arbeiter, wenn sie krank, vorübergehend körperlich beschädigt oder arbeitslos sind, trotzdem in arbeitsfähigen Zustand erhalten bleiben, sodass ihre Arbeitskraft erneut verwertbar bleibt.
Die Rolle des Sozialstaates muss ambivalent behandelt werden. Zum einen schränkt er die Verwertungsmöglichkeiten zwar ein und schützt die arbeitende Klasse, andererseits schützt er ebenso den kapitalistischen Verwertungsprozess nachhaltig und legt somit die Grundlage für eine dauerhafte Ausbeutung der arbeitenden Klasse.
Woher kommen die finanziellen Mittel des Sozialstaates? Sie kommen aus Sozialversicherungsbeiträgen und Steuereinnahmen. Jeder Bürger zahlt an seinem Staat die nötigen Mittel zur Aufrechterhaltung sozialer Leistungen; Leistungen, die zur Reproduktion und somit zur kapitalistischen Produktionsweise notwendig sind. Nun zahlen Reiche (also zumeist Kapitalisten selbst) aber prozentual mehr ein als Arme. Ein Verdienst christlicher Moralvorstellungen und sozialdemokratischer Politik. Der einzelne Kapitalist sieht nicht die Notwendigkeit des Sozialstaates für die Sicherung seines eigenes Ausbeutungsverhältnis, sondern nur die staatlich erzwungene Verminderung seiner Akkumulationsrate. Umso natürlicher ist sein organisierter Widerstand gegen diese Sozialabgaben (in Form der „Freien Demokratischen Partei“, des „Deutschen Instituts für Wirtschaft“, der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“...)
Andererseits wäre es falsch, den Sozialstaat als Errungenschaft der Arbeiterklasse aufzufassen. Das Leben im Sozialstaat ist für den Lohnarbeiter zwar ertäglicher, doch auch nur deshalb, weil die Bourgeoisie hierraus selbst Vorteile für ihre Profitrate erkennt. Nicht nur die Arbeitnehmer profitieren vom Sozialstaat, aus den oben benannten Gründen (Sicherung der möglichst langfristigen Existenz als Lohnarbeiter) ist der Sozialstaat für die Arbeitgeberseite noch viel wertvoller. Umso unverständlicher ist es, wie linke Sozialdemokraten und Linkspolitiker den Sozialstaat als ersten Schritt zur Überwindung des Kapitalismus feiern können, wenn dieser durch den Sozialstaat doch erst langfristig abgesichert und stabilisiert worden ist.
Eine ebenso wichtige Funktion des Sozialstaates ist die Disziplinierung des Arbeiters: Leistungen des Arbeitslosengeldes oder der Rente hängen vom vorherigen Lohn ab, Auszahlung des Arbeitslosengeldes und der Sozialhilfe hängen von den Bemühungen ab, wie sich der Arbeitslose selbst aktiv um Beschaffung von einem neuen Arbeitsplatz bemüht. Der Sozialstaat entbindet nicht, sondern fördert noch den Zwang des Proletariers zum Verkauf seiner Arbeitskraft an einen Privateigentümer.
Zum Abschluss ein zusammenfassendes Zitat:
„Denn betrachtet man Staat und Kapital materialistisch, ist weniger die Frage entscheidend, wer von beiden „Arsch-“ und wer „-Loch“ ist, wichtiger ist die Einsicht, dass der kapitalistische Gesamtzusammenhang auch in Zukunft als Garant für das Hervorbringen von Scheiße zu gelten hat. Was das Schweinesystem verdient ist nicht der Dialog, sondern ein unmissverständliches: "Fuck You!". In diesem Sinne: Für den Kommunismus!“ (nach: http://top-berlin.net/?page_id=27)
Willkommen in der virtuellen Welt in Rot
Dieser Blog dient mehrerer Funktionen:
Einerseits um mit mir selbst ins Reine zu kommen, andererseits um interessierte Leser an den wissenschaftlichen Sozialismus von Karl Marx und Friedrich Engels heranzuführen.
Neben ideologischen Fragen werden hier bei Bedarf auch Themen aus der Alltagspolitik versucht darzustellen.
Einerseits um mit mir selbst ins Reine zu kommen, andererseits um interessierte Leser an den wissenschaftlichen Sozialismus von Karl Marx und Friedrich Engels heranzuführen.
Neben ideologischen Fragen werden hier bei Bedarf auch Themen aus der Alltagspolitik versucht darzustellen.
Samstag, 27. November 2010
Mittwoch, 24. November 2010
Der Nationalismus
(Hierbei handelt es sich um einen Gastbeitrag von Laurenz G., welcher meine volle Zustimmung findet.)
I.) Der Nationalismus an sich ist zu unterteilen in zwei Formen: Den progressiven und den reaktionären. Ersterer zeichnet sich durch die Forderung eines Nationalstaates aus und ist progressiv in dem Sinne, dass ein Volk definiert als wie eine Nation verstandene Gesellschaft entweder in mehrere Staaten aufgeteilt ist, oder Teil eines größeren Vielvölkerstaates ist. Der Nationalismus ist hier die Forderung nach Selbstbestimmung, beispielsweise sind da die Bewegung zu Zeiten des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1866 zu nennen, als Deutschland in Partikularstaaten geteilt war, oder die unterschiedlichen Volksgruppen in der Sowjetunion, die nach deren Zusammenbruch ihre Unabhängigkeit (zurück-)erlangten, wobei man hier nicht immer zwingend von Nationalstaaten sprechen kann, da die Grenzen der neuen Länder nicht nach gesellschaftlichen, sondern nach den alten politischen Grenzen innerhalb der UdSSR gezogen wurden. Warum ist dieser Nationalismus als positiv zu bezeichnen? Per definitionem ist ein Staat ein Konstrukt einer politischen Ordnung, das Macht über ein bestimmtes Territorium und das dort lebende Volk ausübt. Unter der Prämisse, ein Staat müsse zum Wohle eben dieses Gebietes und der Bevölkerung handeln, stellt sich die Frage, wie seine Grenzen gezogen werden müssen, dass die Entscheidung des Staates für alle den größtmöglichsten Nutzen hätte - heute würde man sagen, am ehesten dem Willen der dort lebenden Menschen entsprechen würde (logischerweise unterscheiden sich die Menschen kulturell und gesellschaftlich an unterschiedlichen Orten). Hier hat sich in den letzten Jahrhunderten die Nation als Gesellschaft in sich als passendster Umriss für ein Staatskonstrukt erwiesen - in einer Nation findet sich die größte Schnittmenge an kulturellen Übereinstimmungen. Daraus schließt man, dass ein Nationalstaat die Basis für eine funktionierende demokratische Politik ist.
II.) Diese Art von Nationalismus, eben der progressive, ist nicht nach Idealen und Fantasien ausgerichtet, sondern nach der reinen Nützlichkeit. Was darauf aufbaut ist der reaktionäre Nationalismus, dieser erfüllt eine Funktion ähnlich wie die Religion als Beeinflussung und Lenkung einer Gesellschaft, wobei der Mensch von weltlichem Leiden, das heißt existenten Problemen, abgelenkt wird, indem ihm nationalistische und leicht glaubbare Illusionen vorgehalten werden. Der Mensch handelt nun nicht mehr danach, was das prüfbar beste sei, sondern nach seiner eigenen, subjektiven Vorstellung eines Konstruktes, das auf die materielle Welt keine Einflüsse hat. Der reaktionäre Nationalismus dient somit, wieder ebenso wie die Religion, im Kapitalismus dem Erhalt der bestehenden Strukturen, indem der Menschen von deren Fehlern abgelenkt wird; im Falle der Religion wird ihm die Vorstellung eines besseren Lebens nach dem Tode gegeben, die ihn dazu bringt, die Leiden des Weltlichen zu ertragen und zu dulden; im Falle des Nationalismus entsteht jedoch eine perfidere Täuschung: so wird die Herabwertung des Individuums indoktriniert, wofür ein als existent deklariertes Gebilde, was mit der Nation als Gesellschaft nichts mehr zutun hat, als oberstes Leitbild gepriesen wird. Da von oben nach unten gelehrt, hat die herrschende Klasse die Kontrolle über verschiedene Interpretationsrichtungen und Ausprägungen des reaktionären Nationalismus - je nachdem, wie es ihrer Politik gerade am besten kommt.
III.) Um auf den progressiven Nationalismus zurückzukommen: Die Erkenntnis vorausgesetzt, dass eine natürliche ebenso wie kulturelle Evolution stattfindet, bildet der Nationalstaat nur eine bestimmte Stufe innerhalb der kulturellen Weiterentwicklung eines Ordnungskonstrukts, von dem aus höhere Formen erstrebt werden können. So kann kein Vielvölkerstaat eine Grundlage für internationalistisch ausgeprägte Politik sein, denn einzelne Nationen innerhalb dessen werden sich im Handeln der Regierung als benachteiligt ansehen, etwas anderes ist de facto kaum möglich, und die Forderung nach einem eigenen Nationalstaat käme auf, was das Ende des Vielvölkerstaates bezeichnen würde. Wenn sich jedoch eine Gruppe von freien und souveränen Nationalstaaten zusammenschließt, immer noch unter der Wahrung eigener Interessen, weil sich aus der Gesamtmenge der staatlichen Grundeinstellungen eine ähnlich große Schnittmenge ergibt, wie die der Anschauungen und Auffassungen des Volkes innerhalb des Staates - ein Beispiel bietet das weitestgehend demokratisch geprägte Europa und dessen weiträumige Vereinigung in der EU - so stellt der Internationalismus ein Verlangen nach der Überwindung politischer, also zwischengesellschaftlich bestehender Grenzen dar, da eben diese Gesellschaften bereits beginnen, ineinander überzugehen. Dem reaktionären Nationalismus wäre diese Entwicklung ein Dorn im Auge, aufgrund der ihm eigenen verfälschten Vorstellungen verteidigt er das Festhalten an einem völlig unabhängigen und unbeeinflussten Nationalstaat - das vermeintliche Bilden von Nationalbewusstsein dient in solchen Situationen oft dem Individuum als Ersatz für Selbstbewusstsein - egal, ob sich dieser Konservatismus gegen die kulturelle Evolution stellt. Die Aufgabe des progressiven Nationalismus, die Befriedigung des Bedürfnisses nach einem erfolgreichen Nationalstaat, wäre erfüllt, indem das internationalistische Begehren aufkommt. Er wird als überflüssig empfunden und der Entwicklung kann unbehindert ihr Lauf gelassen werden.
IV.) Es ist also nicht korrekt, zu sagen, Nationalismus sei grundsätzlich falsch - es gilt zu differenzieren. Nationalistische Politik muss, wie jede andere auch, weltbezogen sein und sich nicht an Weltvorstellungen und Dogmen orientieren, sie darf der kulturellen Evolution nicht im Weg stehen, sondern hat diese zu fördern, nämlich durch die Erfüllung ihrer eigensten Funktion: Die Errichtung eines Nationalstaates und dessen erfolgreiche Lenkung zum Wohl der dort als Volk lebenden Gesellschaft, um auch so Grenzen innerhalb einer Gesellschaft und ebenso zwischen diesen abzubauen. Falsch ist es allerdings, an so einem Prinzip festzuhalten, noch nachdem es gemessen an seinen Aufgaben erfüllt ist - und das ist es heutzutage schon längst.
I.) Der Nationalismus an sich ist zu unterteilen in zwei Formen: Den progressiven und den reaktionären. Ersterer zeichnet sich durch die Forderung eines Nationalstaates aus und ist progressiv in dem Sinne, dass ein Volk definiert als wie eine Nation verstandene Gesellschaft entweder in mehrere Staaten aufgeteilt ist, oder Teil eines größeren Vielvölkerstaates ist. Der Nationalismus ist hier die Forderung nach Selbstbestimmung, beispielsweise sind da die Bewegung zu Zeiten des Deutschen Bundes zwischen 1815 und 1866 zu nennen, als Deutschland in Partikularstaaten geteilt war, oder die unterschiedlichen Volksgruppen in der Sowjetunion, die nach deren Zusammenbruch ihre Unabhängigkeit (zurück-)erlangten, wobei man hier nicht immer zwingend von Nationalstaaten sprechen kann, da die Grenzen der neuen Länder nicht nach gesellschaftlichen, sondern nach den alten politischen Grenzen innerhalb der UdSSR gezogen wurden. Warum ist dieser Nationalismus als positiv zu bezeichnen? Per definitionem ist ein Staat ein Konstrukt einer politischen Ordnung, das Macht über ein bestimmtes Territorium und das dort lebende Volk ausübt. Unter der Prämisse, ein Staat müsse zum Wohle eben dieses Gebietes und der Bevölkerung handeln, stellt sich die Frage, wie seine Grenzen gezogen werden müssen, dass die Entscheidung des Staates für alle den größtmöglichsten Nutzen hätte - heute würde man sagen, am ehesten dem Willen der dort lebenden Menschen entsprechen würde (logischerweise unterscheiden sich die Menschen kulturell und gesellschaftlich an unterschiedlichen Orten). Hier hat sich in den letzten Jahrhunderten die Nation als Gesellschaft in sich als passendster Umriss für ein Staatskonstrukt erwiesen - in einer Nation findet sich die größte Schnittmenge an kulturellen Übereinstimmungen. Daraus schließt man, dass ein Nationalstaat die Basis für eine funktionierende demokratische Politik ist.
II.) Diese Art von Nationalismus, eben der progressive, ist nicht nach Idealen und Fantasien ausgerichtet, sondern nach der reinen Nützlichkeit. Was darauf aufbaut ist der reaktionäre Nationalismus, dieser erfüllt eine Funktion ähnlich wie die Religion als Beeinflussung und Lenkung einer Gesellschaft, wobei der Mensch von weltlichem Leiden, das heißt existenten Problemen, abgelenkt wird, indem ihm nationalistische und leicht glaubbare Illusionen vorgehalten werden. Der Mensch handelt nun nicht mehr danach, was das prüfbar beste sei, sondern nach seiner eigenen, subjektiven Vorstellung eines Konstruktes, das auf die materielle Welt keine Einflüsse hat. Der reaktionäre Nationalismus dient somit, wieder ebenso wie die Religion, im Kapitalismus dem Erhalt der bestehenden Strukturen, indem der Menschen von deren Fehlern abgelenkt wird; im Falle der Religion wird ihm die Vorstellung eines besseren Lebens nach dem Tode gegeben, die ihn dazu bringt, die Leiden des Weltlichen zu ertragen und zu dulden; im Falle des Nationalismus entsteht jedoch eine perfidere Täuschung: so wird die Herabwertung des Individuums indoktriniert, wofür ein als existent deklariertes Gebilde, was mit der Nation als Gesellschaft nichts mehr zutun hat, als oberstes Leitbild gepriesen wird. Da von oben nach unten gelehrt, hat die herrschende Klasse die Kontrolle über verschiedene Interpretationsrichtungen und Ausprägungen des reaktionären Nationalismus - je nachdem, wie es ihrer Politik gerade am besten kommt.
III.) Um auf den progressiven Nationalismus zurückzukommen: Die Erkenntnis vorausgesetzt, dass eine natürliche ebenso wie kulturelle Evolution stattfindet, bildet der Nationalstaat nur eine bestimmte Stufe innerhalb der kulturellen Weiterentwicklung eines Ordnungskonstrukts, von dem aus höhere Formen erstrebt werden können. So kann kein Vielvölkerstaat eine Grundlage für internationalistisch ausgeprägte Politik sein, denn einzelne Nationen innerhalb dessen werden sich im Handeln der Regierung als benachteiligt ansehen, etwas anderes ist de facto kaum möglich, und die Forderung nach einem eigenen Nationalstaat käme auf, was das Ende des Vielvölkerstaates bezeichnen würde. Wenn sich jedoch eine Gruppe von freien und souveränen Nationalstaaten zusammenschließt, immer noch unter der Wahrung eigener Interessen, weil sich aus der Gesamtmenge der staatlichen Grundeinstellungen eine ähnlich große Schnittmenge ergibt, wie die der Anschauungen und Auffassungen des Volkes innerhalb des Staates - ein Beispiel bietet das weitestgehend demokratisch geprägte Europa und dessen weiträumige Vereinigung in der EU - so stellt der Internationalismus ein Verlangen nach der Überwindung politischer, also zwischengesellschaftlich bestehender Grenzen dar, da eben diese Gesellschaften bereits beginnen, ineinander überzugehen. Dem reaktionären Nationalismus wäre diese Entwicklung ein Dorn im Auge, aufgrund der ihm eigenen verfälschten Vorstellungen verteidigt er das Festhalten an einem völlig unabhängigen und unbeeinflussten Nationalstaat - das vermeintliche Bilden von Nationalbewusstsein dient in solchen Situationen oft dem Individuum als Ersatz für Selbstbewusstsein - egal, ob sich dieser Konservatismus gegen die kulturelle Evolution stellt. Die Aufgabe des progressiven Nationalismus, die Befriedigung des Bedürfnisses nach einem erfolgreichen Nationalstaat, wäre erfüllt, indem das internationalistische Begehren aufkommt. Er wird als überflüssig empfunden und der Entwicklung kann unbehindert ihr Lauf gelassen werden.
IV.) Es ist also nicht korrekt, zu sagen, Nationalismus sei grundsätzlich falsch - es gilt zu differenzieren. Nationalistische Politik muss, wie jede andere auch, weltbezogen sein und sich nicht an Weltvorstellungen und Dogmen orientieren, sie darf der kulturellen Evolution nicht im Weg stehen, sondern hat diese zu fördern, nämlich durch die Erfüllung ihrer eigensten Funktion: Die Errichtung eines Nationalstaates und dessen erfolgreiche Lenkung zum Wohl der dort als Volk lebenden Gesellschaft, um auch so Grenzen innerhalb einer Gesellschaft und ebenso zwischen diesen abzubauen. Falsch ist es allerdings, an so einem Prinzip festzuhalten, noch nachdem es gemessen an seinen Aufgaben erfüllt ist - und das ist es heutzutage schon längst.
Freitag, 19. November 2010
Historischer Materialismus (6/6)
VI.)Der Kommunismus wird die letzte Entwicklungsstufe des Menschen sein, in der es keine Klassen, Staaten, Geldsysteme, Ausbeutung, Wirtschaftskrisen, Waren mehr gibt.
Kommunismus als Beschränkung der individuellen Freiheit
Kommunismus und Planwirtschaft kommen für viele als eine unzumutbare Beschränkung vor, weil es da nicht Geld gibt, mit dem einem potentiell alle Möglichkeiten offen stehen und man sich nichts von einem sagen lassen muss. Diese Menschen bemerken aber nicht, dass zu der Freiheit im Kapitalismus auch die Not gehört, angewiesen zu sein darauf, für fremdes Eigentum zu arbeiten, weil es einem eben an gerade diesem Geld mangelt, das einem alle Tore öffnet. Planwirtschaft dagegen lebt nicht davon, dass alle sich aneinander privat zu bereichern versuchen, sondern bestimmen selbst kollektiv die Produktion, bestimmen Zweck der Produktion, ordnen sich aber auch dem Plan dann unter. Das begreifen sie dann als eine Vorgabe, die auch auf Verbindlichkeiten beruht und man nicht einfach spontan nach seinem Willen doch auf die notwendige Arbeit verzichten kann usw. Lieber leben diese Menschen dann in der Not, in der sie selbst entscheiden können, ob sie unter der Brücke schlafen wollen, arbeiten oder schauen, ob sich mit Arbeitslosengeld leben lässt. Sie bemerken nicht, dass ihr Leben im Kapitalismus - „das System der Freiheit“ - nicht von einem selbst abhängt, sondern stets nur davon, ob man für fremden Dienst gebraucht wird oder nicht.
Errungenschaften im Kommunismus
- beträchtliche Steigerung im Entwicklungsstand der Produktivkräfte und im Niveau der Arbeitsproduktivität
- verbesserter Umfang und Struktur der materiell-technischen Basis
- Abschaffung des staatlichen Eigentums an Produktionmitteln und Ersetzung durch eine einheitlich kommunistische Eigentumsform
- Klassenloser Gesellschaftstyp, Abschaffung sozialer Schichten
- Aufhebung des sozialen Unterschieds zwischen Stadt und Land
- Aufhebung der sozialen Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit
- „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
Das Prinzip der Leistung wird also durch das Prinzip der Bedürftigkeit ersetzt. Der Übergang vom sozialistischen zum kommunistischen Verteilungsprinzip kann nur erfolgen, wenn die materiell-technische Basis im Kapitalismus und schließlich im Sozialismus weit genug ausgebaut worden ist, wenn die Qualität der Produktivkräfte eine Entwicklungsstufe erreicht haben, die eine bedarfsgerechte Verteilung zulassen.
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19, S. 21)
Dies beinhaltet auch, dass die Arbeit -welches wie ursprünglich ein Lebensbedürfnis des Menschen wird- wieder als ein befreiender Akt angesehen werden kann, dass der Mensch aus eigenen Antrieb sein gesellschaftlichen Anteil an Arbeit durchführt, weil er ein Interesse daran hat, die planmäßige Produktion aufrecht zu erhalten.
„Auf dieser Grundlage wird sich der Charakter der Arbeit grundlegend wandeln und die Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis der Menschen werden. Der Arbeitsprozess wird zur wichtigsten Sphäre, in der die Individuen ihre Fähigkeiten, Talente und Neigungen allseitig entfalten und betätigen können. Der Kommunismus ist die Gesellschaft, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (MEW 4, S. 482)
Dass diese Moral heute weitgehend fehlt, ist logisch. Allerdings liegt dies nicht an ehernen menschlichen Charakterschwächen. Der Mensch ist weder von Grund auf „böse“ (nach dem Philosophen Hobbes) noch von Grund auf „gut“ (nach dem Philosophen Rousseau), sondern das Produkt der gesellschaftlichen Einflüsse auf den Menschen (nach dem Wissenschaftler Marx). Die moralische Einstellung, die dem Menschen heute zum Kommunismus fehlen mag, entwickelt sich erst mit dessen Herstellung. Es gibt immer nur die Moral der jeweiligen Gesellschaft, aber keine allgemeine Moral.
„Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ (MEW 13, S. 7-11)
Absterben des Staates
Ebenso bedeutend ist das Absterben des Staates. Aber auch dies lässt sich am Besten mit den Originalworten Friedrich Engels´ und Karl Marx´ erklären:
„Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, d.h. eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht "abgeschafft", er stirbt ab.“ (MEW 19, S. 210-228)
„Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingung des Klassengegensatzes, der Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation (= freiwilliger Zusammenschluss), worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Kommunistisches Manifest, MEW 4, S. 482)
Gesellschaftliche Planung der Produktion
Zur Ökonomie ist -neben den vergesellschafteten Produktionsmitteln- zu sagen, dass sowohl der Tausch und damit auch die Ware sowie letztendlich das Geld als Tauschmittel selbst verschwinden. Verausgabung der Arbeitskraft in die Produktion sowie die Verteilung der Produkte wird nichtmehr vom Markt (wie im Kapitalismus) noch vom Staat (wie im Sozialismus) geregelt, sondern von der Gesellschaft selbst in bewusster und planmäßiger Art und Weise.
Dieses hat zwei Intentionen: Zum einen eine quantitativ gerechtere Verteilung, zum anderen die Emanzipation von einem verselbstständigten anonymen und objektiven Zwang gegenüber dem Individuum (Ende der Herrschaft des Produkts über den Produzenten). Erst dann können die Mitglieder eines „Vereins freier Menschen“ ihre gesellschaftlichen Angelegenheiten wirklich selbst regeln und gestalten. Die Intentionen eines Marxisten gehen also über einfache Verteilungsfragen weit hinaus. Ihr Ziel ist die vollständige Emanzipation des Menschen. Ein Punkt, den die Gegner des Kommunismus noch nie verstanden haben.
Erstmals ist es mit der kommunistischen Gesellschaftsform möglich, dass Geschichte nicht das zufällige Produkt verschiedener menschlicher Handlung ist, sondern der Mensch wird in der Lage sein, Geschichte bewusst zu verwirklichen:
"Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eignen Vergesellschaftung werden [...] Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maß auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit." (MEW 19, S. 210-228)
Recht & Gesetz
Die kommunistische Gesellschaft lebt nicht in archaischen Zuständen. Recht und Gesetz sterben zwar mit dem Staat selbstverständlich zwangsweise mit ab, aber selbst Mitglieder kommunistischer Gesellschaften müssen ihr gemeinschaftliches Leben regeln – vielmehr noch, sie müssen sogar auf kleinster Ebene selbstverantwortlich in den jeweiligen Betrieben ihre Produktion organisieren, sie müssen die gesellschaftliche Produktion koordinieren, sie müssen Sorge dafür tragen, dass die heute verschiedenartigen Interessen von Konsumenten und Produzenten identisch werden, sie müssen Rechte von Minderheiten gegenüber von Attacken anderer Gruppen schützen sowie Diskriminierungen jeglicher Art vorbeugen und ggf. bestrafen können.
Fazit
Die gesamte menschliche Entwicklung ist eine Geschichte von Klassenkämpfen. Der Klassenkampf ist die entscheidende Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung in allen antagonistischen Klassengesellschaften. Der Klassenkampf ist die notwendige Folge des Klassenantagonismus und der daraus entspringenden gegensätzlichen Klasseninteressen zwischen den Grundklassen einer ökonomischen Gesellschaftsformation der Ausbeutergesellschaften. Er ist eine objektive Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung.
Zu beachten gilt, dass die Übergänge von einer Gesellschaftsform zu einer anderen nicht bruchartig, sondern fließend verlaufen, sodass es für bestimmte Zeit Mischformen geben kann. Desweiteren kann die Entwicklung bei falscher oder voreiliger Umsetzung rückwärts verlaufen, beispielsweise durch Konterrevolution.
Die Entwicklung zum Kommunismus ist ebenfalls objektive Gesetzesmäßigkeit, somit unvermeidbar und nur temporär abhängig, da es Gesetz der Natur ist, dass sich die Menschheit -wie viele sonstige Lebesformen auch- zu einer immer höheren, komplexeren Stufe weiterentwickelt. Mit dem Kommunismus schließt sich also der menschliche Entwicklungszyklus, weil bestimmte Formen der ursprünglichen Urgesellschaft wiederhergestellt sind, wenn auch auf einer völlig anderen, qualitativen Ebene.
„Und auch wenn eine kommunistische Gesellschaft nur schwer zu erreichen sein mag – angesichts der sozialen Verheerungen, die der globale Kapitalismus durch Krisen und Arbeitslosigkeit sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ anrichtet, während gleichzeitig ein historisch noch nie da gewesenes Niveau materiellen Reichtums existiert; angesichts der von der kapitalistischen Produktion bewirkten Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die längst nicht mehr nur lokal stattfindet, sondern bereits den Planeten als Ganzes betrifft (wie beim Klimawandel deutlich sichtbar wird); angesichts immer neuer Kriege, die auch von den „demokratischen“ bürgerlichen Staaten ausgehen oder gefördert werden; angesichts all dessen also – gibt es genug Gründe, den Kapitalismus abzuschaffen und ihn durch einen „Verein freier Menschen“ zu ersetzen“ (nach Michael Heinrich in „Kritik der pol. Ökonomie – Eine Einführung“). Die Probleme des 21. Jahrhunderts, zu dem zusätzlich noch der erstarkende Rechtspopulismus zu nennen ist, verdeutlicht, dass der Kampf für den Sozialismus keine Frage des persönlichen Willens ist, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
„Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände.
In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.
Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.
Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
(MEW 4 , S. 459-493)
Verwendete Materialen:
- Friedrich Engels: Grundsätze des Kommunismus ; Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft
- Georg Fülberth: „Kapitalismus“
- M. Heinrich: Kritik der pol. Ökonomie – Eine Einführung
- http://www.porta-vitae.net/Wissenswertes/Vortr%E4ge/Mittelalterliche%20Gesellschaft/Mittelalterliche%20Gesellschaft.html
- http://www.stamokap.org/histomat.html#45
- http://www.stamokap.org/marx-grundlagen.html
- http://www.mxks.de/files/ag/proletariat.html
Kommunismus als Beschränkung der individuellen Freiheit
Kommunismus und Planwirtschaft kommen für viele als eine unzumutbare Beschränkung vor, weil es da nicht Geld gibt, mit dem einem potentiell alle Möglichkeiten offen stehen und man sich nichts von einem sagen lassen muss. Diese Menschen bemerken aber nicht, dass zu der Freiheit im Kapitalismus auch die Not gehört, angewiesen zu sein darauf, für fremdes Eigentum zu arbeiten, weil es einem eben an gerade diesem Geld mangelt, das einem alle Tore öffnet. Planwirtschaft dagegen lebt nicht davon, dass alle sich aneinander privat zu bereichern versuchen, sondern bestimmen selbst kollektiv die Produktion, bestimmen Zweck der Produktion, ordnen sich aber auch dem Plan dann unter. Das begreifen sie dann als eine Vorgabe, die auch auf Verbindlichkeiten beruht und man nicht einfach spontan nach seinem Willen doch auf die notwendige Arbeit verzichten kann usw. Lieber leben diese Menschen dann in der Not, in der sie selbst entscheiden können, ob sie unter der Brücke schlafen wollen, arbeiten oder schauen, ob sich mit Arbeitslosengeld leben lässt. Sie bemerken nicht, dass ihr Leben im Kapitalismus - „das System der Freiheit“ - nicht von einem selbst abhängt, sondern stets nur davon, ob man für fremden Dienst gebraucht wird oder nicht.
Errungenschaften im Kommunismus
- beträchtliche Steigerung im Entwicklungsstand der Produktivkräfte und im Niveau der Arbeitsproduktivität
- verbesserter Umfang und Struktur der materiell-technischen Basis
- Abschaffung des staatlichen Eigentums an Produktionmitteln und Ersetzung durch eine einheitlich kommunistische Eigentumsform
- Klassenloser Gesellschaftstyp, Abschaffung sozialer Schichten
- Aufhebung des sozialen Unterschieds zwischen Stadt und Land
- Aufhebung der sozialen Unterschiede zwischen geistiger und körperlicher Arbeit
- „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen“
Das Prinzip der Leistung wird also durch das Prinzip der Bedürftigkeit ersetzt. Der Übergang vom sozialistischen zum kommunistischen Verteilungsprinzip kann nur erfolgen, wenn die materiell-technische Basis im Kapitalismus und schließlich im Sozialismus weit genug ausgebaut worden ist, wenn die Qualität der Produktivkräfte eine Entwicklungsstufe erreicht haben, die eine bedarfsgerechte Verteilung zulassen.
„In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen - erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (MEW 19, S. 21)
Dies beinhaltet auch, dass die Arbeit -welches wie ursprünglich ein Lebensbedürfnis des Menschen wird- wieder als ein befreiender Akt angesehen werden kann, dass der Mensch aus eigenen Antrieb sein gesellschaftlichen Anteil an Arbeit durchführt, weil er ein Interesse daran hat, die planmäßige Produktion aufrecht zu erhalten.
„Auf dieser Grundlage wird sich der Charakter der Arbeit grundlegend wandeln und die Arbeit zum ersten Lebensbedürfnis der Menschen werden. Der Arbeitsprozess wird zur wichtigsten Sphäre, in der die Individuen ihre Fähigkeiten, Talente und Neigungen allseitig entfalten und betätigen können. Der Kommunismus ist die Gesellschaft, "worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (MEW 4, S. 482)
Dass diese Moral heute weitgehend fehlt, ist logisch. Allerdings liegt dies nicht an ehernen menschlichen Charakterschwächen. Der Mensch ist weder von Grund auf „böse“ (nach dem Philosophen Hobbes) noch von Grund auf „gut“ (nach dem Philosophen Rousseau), sondern das Produkt der gesellschaftlichen Einflüsse auf den Menschen (nach dem Wissenschaftler Marx). Die moralische Einstellung, die dem Menschen heute zum Kommunismus fehlen mag, entwickelt sich erst mit dessen Herstellung. Es gibt immer nur die Moral der jeweiligen Gesellschaft, aber keine allgemeine Moral.
„Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ (MEW 13, S. 7-11)
Absterben des Staates
Ebenso bedeutend ist das Absterben des Staates. Aber auch dies lässt sich am Besten mit den Originalworten Friedrich Engels´ und Karl Marx´ erklären:
„Das Proletariat ergreift die Staatsgewalt und verwandelt die Produktionsmittel zunächst in Staatseigentum. Aber damit hebt es sich selbst als Proletariat, damit hebt es alle Klassenunterschiede und Klassengegensätze auf und damit auch den Staat als Staat. Die bisherige, sich in Klassengegensätzen bewegende Gesellschaft hatte den Staat nötig, d.h. eine Organisation der jedesmaligen ausbeutenden Klasse zur Aufrechterhaltung ihrer äußern Produktionsbedingungen, also namentlich zur gewaltsamen Niederhaltung der ausgebeuteten Klasse in den durch die bestehende Produktionsweise gegebnen Bedingungen der Unterdrückung (Sklaverei, Leibeigenschaft oder Hörigkeit, Lohnarbeit). Der Staat war der offizielle Repräsentant der ganzen Gesellschaft, ihre Zusammenfassung in einer sichtbaren Körperschaft, aber er war dies nur, insofern er der Staat derjenigen Klasse war, welche selbst für ihre Zeit die ganze Gesellschaft vertrat: im Altertum Staat der sklavenhaltenden Staatsbürger, im Mittelalter des Feudaladels, in unsrer Zeit der Bourgeoisie. Indem er endlich tatsächlich Repräsentant der ganzen Gesellschaft wird, macht er sich selbst überflüssig. Sobald es keine Gesellschaftsklasse mehr in der Unterdrückung zu halten gibt, sobald mit der Klassenherrschaft und dem in der bisherigen Anarchie der Produktion begründeten Kampf ums Einzeldasein auch die daraus entspringenden Kollisionen und Exzesse beseitigt sind, gibt es nichts mehr zu reprimieren, das eine besondre Repressionsgewalt, einen Staat, nötig machte. Der erste Akt, worin der Staat wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt - die Besitzergreifung der Produktionsmittel im Namen der Gesellschaft, ist zugleich sein letzter selbständiger Akt als Staat. Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht "abgeschafft", er stirbt ab.“ (MEW 19, S. 210-228)
„Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingung des Klassengegensatzes, der Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation (= freiwilliger Zusammenschluss), worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Kommunistisches Manifest, MEW 4, S. 482)
Gesellschaftliche Planung der Produktion
Zur Ökonomie ist -neben den vergesellschafteten Produktionsmitteln- zu sagen, dass sowohl der Tausch und damit auch die Ware sowie letztendlich das Geld als Tauschmittel selbst verschwinden. Verausgabung der Arbeitskraft in die Produktion sowie die Verteilung der Produkte wird nichtmehr vom Markt (wie im Kapitalismus) noch vom Staat (wie im Sozialismus) geregelt, sondern von der Gesellschaft selbst in bewusster und planmäßiger Art und Weise.
Dieses hat zwei Intentionen: Zum einen eine quantitativ gerechtere Verteilung, zum anderen die Emanzipation von einem verselbstständigten anonymen und objektiven Zwang gegenüber dem Individuum (Ende der Herrschaft des Produkts über den Produzenten). Erst dann können die Mitglieder eines „Vereins freier Menschen“ ihre gesellschaftlichen Angelegenheiten wirklich selbst regeln und gestalten. Die Intentionen eines Marxisten gehen also über einfache Verteilungsfragen weit hinaus. Ihr Ziel ist die vollständige Emanzipation des Menschen. Ein Punkt, den die Gegner des Kommunismus noch nie verstanden haben.
Erstmals ist es mit der kommunistischen Gesellschaftsform möglich, dass Geschichte nicht das zufällige Produkt verschiedener menschlicher Handlung ist, sondern der Mensch wird in der Lage sein, Geschichte bewusst zu verwirklichen:
"Mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft ist die Warenproduktion beseitigt und damit die Herrschaft des Produkts über die Produzenten. Die Anarchie innerhalb der gesellschaftlichen Produktion wird ersetzt durch planmäßige bewußte Organisation. Der Kampf ums Einzeldasein hört auf. Damit erst scheidet der Mensch, in gewissem Sinn, endgültig aus dem Tierreich, tritt aus tierischen Daseinsbedingungen in wirklich menschliche. Der Umkreis der die Menschen umgebenden Lebensbedingungen, der die Menschen bis jetzt beherrschte, tritt jetzt unter die Herrschaft und Kontrolle der Menschen, die zum ersten Male bewußte, wirkliche Herren der Natur, weil und indem sie Herren ihrer eignen Vergesellschaftung werden [...] Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maß auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit." (MEW 19, S. 210-228)
Recht & Gesetz
Die kommunistische Gesellschaft lebt nicht in archaischen Zuständen. Recht und Gesetz sterben zwar mit dem Staat selbstverständlich zwangsweise mit ab, aber selbst Mitglieder kommunistischer Gesellschaften müssen ihr gemeinschaftliches Leben regeln – vielmehr noch, sie müssen sogar auf kleinster Ebene selbstverantwortlich in den jeweiligen Betrieben ihre Produktion organisieren, sie müssen die gesellschaftliche Produktion koordinieren, sie müssen Sorge dafür tragen, dass die heute verschiedenartigen Interessen von Konsumenten und Produzenten identisch werden, sie müssen Rechte von Minderheiten gegenüber von Attacken anderer Gruppen schützen sowie Diskriminierungen jeglicher Art vorbeugen und ggf. bestrafen können.
Fazit
Die gesamte menschliche Entwicklung ist eine Geschichte von Klassenkämpfen. Der Klassenkampf ist die entscheidende Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung in allen antagonistischen Klassengesellschaften. Der Klassenkampf ist die notwendige Folge des Klassenantagonismus und der daraus entspringenden gegensätzlichen Klasseninteressen zwischen den Grundklassen einer ökonomischen Gesellschaftsformation der Ausbeutergesellschaften. Er ist eine objektive Gesetzmäßigkeit der gesellschaftlichen Entwicklung.
Zu beachten gilt, dass die Übergänge von einer Gesellschaftsform zu einer anderen nicht bruchartig, sondern fließend verlaufen, sodass es für bestimmte Zeit Mischformen geben kann. Desweiteren kann die Entwicklung bei falscher oder voreiliger Umsetzung rückwärts verlaufen, beispielsweise durch Konterrevolution.
Die Entwicklung zum Kommunismus ist ebenfalls objektive Gesetzesmäßigkeit, somit unvermeidbar und nur temporär abhängig, da es Gesetz der Natur ist, dass sich die Menschheit -wie viele sonstige Lebesformen auch- zu einer immer höheren, komplexeren Stufe weiterentwickelt. Mit dem Kommunismus schließt sich also der menschliche Entwicklungszyklus, weil bestimmte Formen der ursprünglichen Urgesellschaft wiederhergestellt sind, wenn auch auf einer völlig anderen, qualitativen Ebene.
„Und auch wenn eine kommunistische Gesellschaft nur schwer zu erreichen sein mag – angesichts der sozialen Verheerungen, die der globale Kapitalismus durch Krisen und Arbeitslosigkeit sowohl in den entwickelten Ländern als auch in den Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ anrichtet, während gleichzeitig ein historisch noch nie da gewesenes Niveau materiellen Reichtums existiert; angesichts der von der kapitalistischen Produktion bewirkten Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die längst nicht mehr nur lokal stattfindet, sondern bereits den Planeten als Ganzes betrifft (wie beim Klimawandel deutlich sichtbar wird); angesichts immer neuer Kriege, die auch von den „demokratischen“ bürgerlichen Staaten ausgehen oder gefördert werden; angesichts all dessen also – gibt es genug Gründe, den Kapitalismus abzuschaffen und ihn durch einen „Verein freier Menschen“ zu ersetzen“ (nach Michael Heinrich in „Kritik der pol. Ökonomie – Eine Einführung“). Die Probleme des 21. Jahrhunderts, zu dem zusätzlich noch der erstarkende Rechtspopulismus zu nennen ist, verdeutlicht, dass der Kampf für den Sozialismus keine Frage des persönlichen Willens ist, sondern eine gesellschaftliche Notwendigkeit.
„Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände.
In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.
Die Kommunisten arbeiten endlich überall an der Verbindung und Verständigung der demokratischen Parteien aller Länder.
Die Kommunisten verschmähen es, ihre Ansichten und Absichten zu verheimlichen. Sie erklären es offen, daß ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnung. Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.
Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“
(MEW 4 , S. 459-493)
Verwendete Materialen:
- Friedrich Engels: Grundsätze des Kommunismus ; Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft
- Georg Fülberth: „Kapitalismus“
- M. Heinrich: Kritik der pol. Ökonomie – Eine Einführung
- http://www.porta-vitae.net/Wissenswertes/Vortr%E4ge/Mittelalterliche%20Gesellschaft/Mittelalterliche%20Gesellschaft.html
- http://www.stamokap.org/histomat.html#45
- http://www.stamokap.org/marx-grundlagen.html
- http://www.mxks.de/files/ag/proletariat.html
Samstag, 13. November 2010
Erlebnisbericht Wendland 2010
Organisiert wurde die Hinreise von einem unparteilichen Marburger Anti-Atom-Bündnis, mit dem ich auch schon im September zu einer Großdemonstration gegen die Energiepolitik der Regierung in Berlin gefahren bin. Im Vorfeld der Protestaktionen, genauer in den Herbstferien, habe ich bereits an ein Aktionstraining teilgenommen, wo man durch einen erfahrenen „Trainer“ auf die Aktionsformen zum Castor-Transport vorbereitet wurde: Z.B. wie man sich am besten von der Polizei während einer Blockaderäumung wegtragen lässt, wie man eine Polizeikette durchfließt, wie es mit Nahrung und Schlafmöglichkeiten aussieht etc. etc. Auch habe ich während des Aktionstrainings drei Jugendliche aus Marburg kennengelernt, mit denen ich mich schließlich zu einer Bezugsgruppe für die Blockade-Aktion auf der Landtstraße zusammengeschlossen habe.
Mein Anreiz zur Teilnahme an den Protesten setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen:
- zuallererst meine tiefe Empörung aufgrund der bevorstehenden Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke durch die schwarz-gelbe Regierung und das damit verbundene Aufkündigen des Atomkompromisses von 2001
- die ungelöste Endlagerfrage: Es gibt einfach kein „Abstellplatz“ für jahrhundertelang radioaktiv strahlenden Atommüll. Der Entschluss, trotzdem die Produktion von noch mehr Atommüll zu tolerieren, erscheint mir kurzsichtig und unverantwortlich
- die durch die Laufzeitverlängerung hervorgerufene Verzögerung in der Entwicklung Erneuerbarer Energien
- und schließlich meine politische Überzeugung, dass ein objektiver Widerspruch herrscht zwischen parlamentarischer Demokratie und dem Willen der Bevölkerung. Durch die Teilnahme an den Protesten wollte ich verdeutlichen, dass beides nicht zwangsweise identisch ist und die Demokratie damit nur eingeschränkt gilt
Am Samstag sind schließlich von Marburg fünf Busse losgefahren. Leider kamen wir aufgrund von Staus und Parkplatzmangel zwei Stunden zu spät zur Kundgebung. Sei´s drum – ich konnte für die nächsten Tage mein letztes Stück Fleisch essen. Anschließend sind wir -der Organisation sei Dank- per Shuttle-Bus in das Zeltlager Gedelitz gefahren, wo ich mein Zelt aufgebaut habe. Dort hat sich meine Bezugsgruppe auch mit einer erfahreneren Bezugsgruppe aus Hamburg zusammengeschlossen. Unser Name lautete „Blauwahl“.
Sonntagmorgen ist schließlich das gesamte Camp (~1.500 Menschen) Richtung Landstraße zwischen Gorleben und dem Endlager gezogen. Da wir mit einer Polizeikette vor der Landstraße rechneten, haben wir uns in 5 Finger aufgeteilt. Diese 5-Finger-Taktik wurde schon erfolgreich in Heiligendamm ausprobiert und sorgt dafür, dass man eine Polizeikette ohne größere Verluste gewaltfrei durchfließen kann. Jeder Finger besteht aus mindestens 100, in unserem Fall ca. 300 Menschen. Diese Finger laufen in gespreizter Laufrichtung friedlich auf die Polizeikette zu. Kurz vor dem Erreichen der Polizeikette lösen sich die Finger auf, sodass im letzten Moment eine ausgestreute Menschenmenge die Polizeikette möglichst in die Länge zieht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass möglichst viele gewaltfrei durch die Polizeikette durchkommen bzw. durch“fließen“ können, am Größten. Doch zu unserer Überraschung war die Landstraße leergefegt. Ohne größere Probleme konnten wir diesen wichtigen Abschnitt besetzen. Dies lag daran, dass der Großteil der eingesetzten ca. 16.500 Polizisten mit der Abwehr der „Castor? Schottern!“-Aktion beschäftigt war. Wenn auch den Berichten zufolge das Schottern nicht sehr erfolgreich gewesen sein sollte, so haben diese uns doch den Rücken freihalten können.
Meine Bezugsgruppe (Ich, drei aus Marburg, vier aus Hamburg) hat sich für einen längerfristigen Aufenthalt eingerichtet: Der von uns besetzte Straßenabschnitt wurde mit einer Plastikfolie und gold-silbernen Wärmedecken unterlegt, damit die Kälte im Boden blieb. Anschließend kam noch eine Matraze darauf, eine Isomatte, schließlich der Schlafsack, im Schlafsack noch eine gold-silberne Wärmedecke und eine zusätzliche Plastikplane als Regenschutz. Wir waren für die Nächte unter freien Himmel also gut gerüstet, sodass wir weder geschwitzt noch besonders gefroren haben.
Bis Montagabend kamen noch ca. 2.500 Menschen, die meisten davon von den abgeschlossenen „Castor?Schottern!“-Aktionen, zu uns – sofern sie noch Energie hatten. x-tausendmalquer hat sich vollständig mit den Schotter-Aktionen solidarisiert und Schotterer zu unserer Blockade willkommen geheißen, sofern sie sich aber am gewaltfreien Aktionskonsens des zivilen Ungehorsams halten würden. Dieser Aktionskonsens von x-tausendmalquer beinhaltet u.a.: Gewaltfreiheit, Respekt gegenüber dem Polizisten als Menschen, Ungehorsamkeit gegenüber Vorschriften zum Schutz des Castor-Transportes, Widerstand gegen Polizeiwillkür und -ganz wichtig- hierarchiefreie Strukturen. Dies wurde versucht dadurch zu erreichen, dass für jede zu treffende Entscheidung bereits innerhalb der Bezugsgruppe diskutiert und sich dann auf ein Gruppenkonsens geeinigt wurde, welcher wiederum im Sprecherrat durch den Gruppensprecher vertreten wurde. Dieses basisdemokratische Prinzip von x-tausendmalquer hat mich beeindruckt. Der Sprecher einer Bezugsgruppe wurde von jedem Gruppenmitglied gewählt, dieser vertrat dann die vorher besprochenen Meinungen und Interessen jeden Gruppenmitgliedes im sg. Sprecher/Innenrat. Im Sprecherrat wurde alles Organisatorische besprochen und abgestimmt. Die Ergebnisse des Sprecherrates wurden wiederum nach der Sitzung vom Sprecher jedem Basisgruppen-Mitglied mitgeteilt. Dieses Prinzip wurde konsequent verfolgt uns sorgte für ein großes Vertrauen der Protestler gegenüber den Organisatoren.
Die Zeit ging auf der Landstraße relativ schnell vorüber. Man konnte neue, meist gleichgesinnte Menschen kennen lernen, mit seiner Bezugsgruppe Karten spielen, Transparente anschauen, den Polizisten beim Frieren zuschauen, nochmal an Aktionstrainings zur bevorstehenden Räumung teilnehmen, mit anderen Protestlieder trällern, sich an Feuertonnen aufwärmen und und und... Sonntagabends haben es die Organisatoren von x-tausendmalquer trotz der Illegalität unserer Aktion geschafft, eine kleine Bühne auf der Landstraße aufzustellen und eine DJ-Band zu engagieren, welche die jungen Teilnehmern einen Abend mit Disco-Feeling verwöhnt haben.
Nicht minder gut organisiert war die Versorgung der Blockierer. Für jeden der x-tausend Teilnehmer gab es stets heiße Getränke (Kräutertee, Schwarzer Tee, Kaffee, manchmal auch heiße Schokolade), mittags gab es warme Mahlzeiten (natürlich nur vegan), morgens und abends konnte man sich ausreichend Brote schmieren. Unabhängig von den eigentlichen Organisatoren wurde sogar ein Pizza-Stand aufgebaut, wofür man aber verständlicherweise lange anstehen musste – andererseits, man hatte ja eh nichts besseres zu tun. Ein paar Bürger von Gorleben waren sogar solidarisch genug, um morgens mit beschmierten Broten herumzulaufen und diese an hungrige Frühaufsteher zu verteilen. Montagnachmittags habe ich persönlich mit anderen Mitgliedern meiner Bezugsgruppe die Blockierer mit Waffeln -teils vegan, teils mit Ei und Milch- versorgt. Die Blauwahl-Mitglieder aus Hamburg hatten ein spezielles Waffeleisen mitgebracht: Ein durch eine Autobatterie angetriebener Ventilator verwandelte ein kleines, durch Kastanien genährtes Feuer zu einer ausreichend großen Stichflamme, um das oben hängende Waffeleisen zu erhitzen. Das Waffeleisen selbst war eine Spezialkonstruktion aus Österreich, in welche in der Oberseite das Logo „Atomkraft? Nein Danke!“ eingraviert ist.
Für die Folgen des Essens standen Dixi-Toiletten parat. Die Polizei war sogar tolerant genug, diese einmal täglich per Spezial-LKW absaugen zu lassen.
Ein riesiges Glück hatten wir mit dem Wetter. Sonntag gab es größtenteils Sonnenschein, Montag war es zwar bewölkt, es regnete aber nicht. Regenjacke und -hose konnten also im Rucksack bleiben. Einziges Problem war der bereits am Abend einsetzende Morgentau, den wir z.T. nasse Schlafsäcke zu verdanken hatten.
Die Handy-Netze waren nicht immer voll funktionsfähig, aber x-tausendmalquer informierte uns regelmäßig durch Lautsprecherdurchsagen vom aktuellen Geschehen rund um unserer Blockade-Aktion. Für große allgemeine Erheiterung sorgte z.B. die Nachricht, dass ein Bauer ca. 2000 Schafe und Ziegen auf die Straße getrieben hat, sodass die Polizei erstmals mit tierischen Blockierern konfrontiert gewesen ist. Noch erfolgreicher allerdings war die sehnlich erwartete Greenpeace-Aktion: Getarnt als Bier-LKW blockierte er eine entscheidende Kreuzung und schaffte es, sich innerhalb weniger Sekunden im Boden einzubetonieren – samt zwei Aktivisten, deren kompletter Unterkörper ebenfalls einbetoniert gewesen war. 13 Stunden brauchte die Polizei, um dieses doch sehr spezielles Problem schadenslos zu lösen.
Montagabend lag schließlich bereits diese dumpfe Vorahnung in der Luft, dass die folgende Nacht die letzte Nacht auf der Straße sein würde. Und so war es auch, gegen 21 Uhr forderte die Polizei zum Verlassen der Blockade auf. Allerdings zog es sich mit der Räumung doch noch hin, denn die Wendländer Bauern haben mit Treckern wichtige Zufahrtsstraßen der Polizei blockiert, sodass die Anzahl an Polizisten vor Ort nicht für eine Räumung ausreichte. Erst gegen drei Uhr nachts waren wohl genügend Polizisten aus Sachsen anwesend – die Räumung begann. Doch da sie nur von einer Seite räumten, und unsere Blauwahl-Gruppe eher am anderen Ende der Blockade saß bzw. lag, konnte trotz Räumung noch gut und gern zwei Stunden geschlafen werden. Gegen fünf Uhr bin ich schließlich aufgestanden und habe meine Sachen in aller Ruhe im Rucksack verstaut, den Schlafsack zusammengestaut und schließlich auf die Polizei gewartet. Inzwischen hat die (Bundes-)Polizei angefangen auch am anderen Ende der Blockade zu räumen. Dies wurde leider erst sehr spät bemerkt, sodass die Polizei aufgrund fehlender Presse ruppig und ungeduldig gegen Blockade-Teilnehmer vorgehen konnte. Letztendlich mussten diese Bundespolizisten selbst von Lautsprechern der eigenen Polizei zur Mäßigung aufgerufen werden. Gegen halb sieben schließlich war es soweit, zwei fertig aussehende Bundespolizisten haben mit gespielter Freundlichkeit gefragt, ob ich denn freiwillig mitkommen würde. Ich verneinte natürlich, und so haben sie mich ein paar Meter weiter weg auf einen angrenzenden Fahrradweg getragen, wo sich meine Bezugsgruppe auch wieder gesammelt hatte. Anschließend sind wir gemeinsam zurück ins Zeltlager Gedelitz gegangen, denn den Strahlen des Castor-Transportes wollten wir uns nicht unnötig aussetzen.
Zur Räumung muss gesagt werden, dass die Polizei dort freundlich, deeskalierend und rücksichtsvoll agiert hat, wo Presse und Fotoapparate präsent waren, und dort unverhältnismäßig, ruppig und eilig agiert hat, wo diese fehlten. Es war also nicht verwunderlich, dass Blockierer regelmäßig die Presse zu sich gerufen haben.
Zurück im Camp habe ich mich endlich mal wieder umziehen können, habe das Zelt abgebaut, nochmal was gegessen und ein letztes Mal mit der kompletten Bezugsgruppe zusammengesessen, wo jeder von uns ein Resümee abgegeben hat, wie er die letzten Tage empfand. Die Marburger Mitglieder unserer Bezugsgruppe und ich haben letztlich gemeinsam den Rückweg gen Südwesten angetreten. Gegen 20 Uhr war ich wieder zu Hause in Biedenkopf.
Jetzt, einige Tage später und mit genügend zeitlichen Abstand, kann ich die Blockade-Aktion ruhigen Gewissens als Erfolg bewerten. Nicht nur konnte ich Protest zeigen und den Druck auf die Regierung zusammen mit ca. 5000 Mitaktivisten erhöhen, sondern die Tage im Wendland haben auch mir ganz persönlich einiges gebracht. Ich konnte neue Erfahrungen sammeln, die man eben nur sammeln kann, wenn man zwei Tage und zwei Nächte ununterbrochen auf der Landtstraße verbringt, ich konnte neue Menschen kennen lernen und Bekanntschaften schließen und auch einfach alles, was einem sonst im Alltag verfolgt, mal hinter mich lassen. Obwohl auf einer Landstraße „eingeengt“, war es doch ein bisher unbekanntes Gefühl der inneren Freiheit, welches mir hoffentlich auch zukünftig Antrieb sein wird. Von dem Bereich der Hygiene mal abgesehen: Die Castorblockade hat sich gelohnt und ich würde es sofort wiederholen.
Überraschend positiv waren auch die Reaktionen mir persönlich gegenüber im heimatlichen Hinterland. In die 11.Jahrgangsstufe wurde ich eingeladen, um einen mündlichen Erlebnisbericht abzugeben, mehrere Lehrer haben sich interessiert bekundigt, ein Biolehrer an meiner Schule hat gar selber Erlebnisse aus den 90er Jahren im Wendland mit mir ausgetauscht. Es ist wirklich nicht so, dass die Schule bzw. das Lehrerkollegium Teilnahme an politischen Aktionen auch während der Schulzeit strikt ablehnend gegenüber stände.
Nachtrag: Soeben kommt die Meldung, dass diverse Unions-Landesminister dafür sind, die zusätzlichen Polizeikosten auf die Demonstranten abzuwälzen. Es stimmt mich nachdenklich, dass der umweltbewusste und generell politische Protest von der Regierung nicht gewürdigt wird, wo sie doch sonst die angebliche Politikverdrossenheit der Jugend, die in Wahrheit aber eine Parteienverdrossenheit ist, bedauern. Anstatt die Möglichkeiten an politischer Partizipation auch außerhalb der Wahlkabinen zu fördern, versucht es die bürgerliche Regierung nun, diese einzuschränken und Aktivisten einzuschüchtern. Die Kriminalisierung Andersdenkender ist eigentlich Wesensmerkmal eines sg. Unrechtsstaates. Die Opposition in und außerhalb des Parlamentes, besondern die SPD, muss aufpassen, dass der Rechtsstaat und Möglichkeiten zur demokratischer Teilhabe nicht immer weiter eingeschränkt werden. Käme der Vorschlag der Justiz- bzw. Innenminister von Niedersachen und Bayern durch, dass Demonstranten für ihren Protest zahlen müssen, wäre dies ein eklatanter Eingriff in demokratische Grundrechte des mündigen Bürgers.
Links:
https://www.x-tausendmalquer.de/
http://www.castor2010.de/
Online-Artikel:
http://www.tagesschau.de/inland/castorkosten100.html
http://www.taz.de/1/archiv/detailsuche/?tx_hptazsearch_pi1[search_term]=castor&tx_hptazsearch_pi2[submit_button].x=0&tx_hptazsearch_pi2[submit_button].y=0
http://www.jungewelt.de/suche/index.php?and=castor&x=0&y=0&search=Suchen
Bilder:
http://www.publixviewing.de/index.php?cont=news&id=83&n=1
http://www.taz.de/index.php?id=bildergalerie&tx_gooffotoboek_pi1[fid]=1&tx_gooffotoboek_pi1[srcdir]=Castor-2010&tx_gooffotoboek_pi1[func]=combine
Videos:
http://www.spiegel.de/flash/flash-24723.html
Mein Anreiz zur Teilnahme an den Protesten setzt sich aus mehreren Faktoren zusammen:
- zuallererst meine tiefe Empörung aufgrund der bevorstehenden Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke durch die schwarz-gelbe Regierung und das damit verbundene Aufkündigen des Atomkompromisses von 2001
- die ungelöste Endlagerfrage: Es gibt einfach kein „Abstellplatz“ für jahrhundertelang radioaktiv strahlenden Atommüll. Der Entschluss, trotzdem die Produktion von noch mehr Atommüll zu tolerieren, erscheint mir kurzsichtig und unverantwortlich
- die durch die Laufzeitverlängerung hervorgerufene Verzögerung in der Entwicklung Erneuerbarer Energien
- und schließlich meine politische Überzeugung, dass ein objektiver Widerspruch herrscht zwischen parlamentarischer Demokratie und dem Willen der Bevölkerung. Durch die Teilnahme an den Protesten wollte ich verdeutlichen, dass beides nicht zwangsweise identisch ist und die Demokratie damit nur eingeschränkt gilt
Am Samstag sind schließlich von Marburg fünf Busse losgefahren. Leider kamen wir aufgrund von Staus und Parkplatzmangel zwei Stunden zu spät zur Kundgebung. Sei´s drum – ich konnte für die nächsten Tage mein letztes Stück Fleisch essen. Anschließend sind wir -der Organisation sei Dank- per Shuttle-Bus in das Zeltlager Gedelitz gefahren, wo ich mein Zelt aufgebaut habe. Dort hat sich meine Bezugsgruppe auch mit einer erfahreneren Bezugsgruppe aus Hamburg zusammengeschlossen. Unser Name lautete „Blauwahl“.
Sonntagmorgen ist schließlich das gesamte Camp (~1.500 Menschen) Richtung Landstraße zwischen Gorleben und dem Endlager gezogen. Da wir mit einer Polizeikette vor der Landstraße rechneten, haben wir uns in 5 Finger aufgeteilt. Diese 5-Finger-Taktik wurde schon erfolgreich in Heiligendamm ausprobiert und sorgt dafür, dass man eine Polizeikette ohne größere Verluste gewaltfrei durchfließen kann. Jeder Finger besteht aus mindestens 100, in unserem Fall ca. 300 Menschen. Diese Finger laufen in gespreizter Laufrichtung friedlich auf die Polizeikette zu. Kurz vor dem Erreichen der Polizeikette lösen sich die Finger auf, sodass im letzten Moment eine ausgestreute Menschenmenge die Polizeikette möglichst in die Länge zieht. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass möglichst viele gewaltfrei durch die Polizeikette durchkommen bzw. durch“fließen“ können, am Größten. Doch zu unserer Überraschung war die Landstraße leergefegt. Ohne größere Probleme konnten wir diesen wichtigen Abschnitt besetzen. Dies lag daran, dass der Großteil der eingesetzten ca. 16.500 Polizisten mit der Abwehr der „Castor? Schottern!“-Aktion beschäftigt war. Wenn auch den Berichten zufolge das Schottern nicht sehr erfolgreich gewesen sein sollte, so haben diese uns doch den Rücken freihalten können.
Meine Bezugsgruppe (Ich, drei aus Marburg, vier aus Hamburg) hat sich für einen längerfristigen Aufenthalt eingerichtet: Der von uns besetzte Straßenabschnitt wurde mit einer Plastikfolie und gold-silbernen Wärmedecken unterlegt, damit die Kälte im Boden blieb. Anschließend kam noch eine Matraze darauf, eine Isomatte, schließlich der Schlafsack, im Schlafsack noch eine gold-silberne Wärmedecke und eine zusätzliche Plastikplane als Regenschutz. Wir waren für die Nächte unter freien Himmel also gut gerüstet, sodass wir weder geschwitzt noch besonders gefroren haben.
Bis Montagabend kamen noch ca. 2.500 Menschen, die meisten davon von den abgeschlossenen „Castor?Schottern!“-Aktionen, zu uns – sofern sie noch Energie hatten. x-tausendmalquer hat sich vollständig mit den Schotter-Aktionen solidarisiert und Schotterer zu unserer Blockade willkommen geheißen, sofern sie sich aber am gewaltfreien Aktionskonsens des zivilen Ungehorsams halten würden. Dieser Aktionskonsens von x-tausendmalquer beinhaltet u.a.: Gewaltfreiheit, Respekt gegenüber dem Polizisten als Menschen, Ungehorsamkeit gegenüber Vorschriften zum Schutz des Castor-Transportes, Widerstand gegen Polizeiwillkür und -ganz wichtig- hierarchiefreie Strukturen. Dies wurde versucht dadurch zu erreichen, dass für jede zu treffende Entscheidung bereits innerhalb der Bezugsgruppe diskutiert und sich dann auf ein Gruppenkonsens geeinigt wurde, welcher wiederum im Sprecherrat durch den Gruppensprecher vertreten wurde. Dieses basisdemokratische Prinzip von x-tausendmalquer hat mich beeindruckt. Der Sprecher einer Bezugsgruppe wurde von jedem Gruppenmitglied gewählt, dieser vertrat dann die vorher besprochenen Meinungen und Interessen jeden Gruppenmitgliedes im sg. Sprecher/Innenrat. Im Sprecherrat wurde alles Organisatorische besprochen und abgestimmt. Die Ergebnisse des Sprecherrates wurden wiederum nach der Sitzung vom Sprecher jedem Basisgruppen-Mitglied mitgeteilt. Dieses Prinzip wurde konsequent verfolgt uns sorgte für ein großes Vertrauen der Protestler gegenüber den Organisatoren.
Die Zeit ging auf der Landstraße relativ schnell vorüber. Man konnte neue, meist gleichgesinnte Menschen kennen lernen, mit seiner Bezugsgruppe Karten spielen, Transparente anschauen, den Polizisten beim Frieren zuschauen, nochmal an Aktionstrainings zur bevorstehenden Räumung teilnehmen, mit anderen Protestlieder trällern, sich an Feuertonnen aufwärmen und und und... Sonntagabends haben es die Organisatoren von x-tausendmalquer trotz der Illegalität unserer Aktion geschafft, eine kleine Bühne auf der Landstraße aufzustellen und eine DJ-Band zu engagieren, welche die jungen Teilnehmern einen Abend mit Disco-Feeling verwöhnt haben.
Nicht minder gut organisiert war die Versorgung der Blockierer. Für jeden der x-tausend Teilnehmer gab es stets heiße Getränke (Kräutertee, Schwarzer Tee, Kaffee, manchmal auch heiße Schokolade), mittags gab es warme Mahlzeiten (natürlich nur vegan), morgens und abends konnte man sich ausreichend Brote schmieren. Unabhängig von den eigentlichen Organisatoren wurde sogar ein Pizza-Stand aufgebaut, wofür man aber verständlicherweise lange anstehen musste – andererseits, man hatte ja eh nichts besseres zu tun. Ein paar Bürger von Gorleben waren sogar solidarisch genug, um morgens mit beschmierten Broten herumzulaufen und diese an hungrige Frühaufsteher zu verteilen. Montagnachmittags habe ich persönlich mit anderen Mitgliedern meiner Bezugsgruppe die Blockierer mit Waffeln -teils vegan, teils mit Ei und Milch- versorgt. Die Blauwahl-Mitglieder aus Hamburg hatten ein spezielles Waffeleisen mitgebracht: Ein durch eine Autobatterie angetriebener Ventilator verwandelte ein kleines, durch Kastanien genährtes Feuer zu einer ausreichend großen Stichflamme, um das oben hängende Waffeleisen zu erhitzen. Das Waffeleisen selbst war eine Spezialkonstruktion aus Österreich, in welche in der Oberseite das Logo „Atomkraft? Nein Danke!“ eingraviert ist.
Für die Folgen des Essens standen Dixi-Toiletten parat. Die Polizei war sogar tolerant genug, diese einmal täglich per Spezial-LKW absaugen zu lassen.
Ein riesiges Glück hatten wir mit dem Wetter. Sonntag gab es größtenteils Sonnenschein, Montag war es zwar bewölkt, es regnete aber nicht. Regenjacke und -hose konnten also im Rucksack bleiben. Einziges Problem war der bereits am Abend einsetzende Morgentau, den wir z.T. nasse Schlafsäcke zu verdanken hatten.
Die Handy-Netze waren nicht immer voll funktionsfähig, aber x-tausendmalquer informierte uns regelmäßig durch Lautsprecherdurchsagen vom aktuellen Geschehen rund um unserer Blockade-Aktion. Für große allgemeine Erheiterung sorgte z.B. die Nachricht, dass ein Bauer ca. 2000 Schafe und Ziegen auf die Straße getrieben hat, sodass die Polizei erstmals mit tierischen Blockierern konfrontiert gewesen ist. Noch erfolgreicher allerdings war die sehnlich erwartete Greenpeace-Aktion: Getarnt als Bier-LKW blockierte er eine entscheidende Kreuzung und schaffte es, sich innerhalb weniger Sekunden im Boden einzubetonieren – samt zwei Aktivisten, deren kompletter Unterkörper ebenfalls einbetoniert gewesen war. 13 Stunden brauchte die Polizei, um dieses doch sehr spezielles Problem schadenslos zu lösen.
Montagabend lag schließlich bereits diese dumpfe Vorahnung in der Luft, dass die folgende Nacht die letzte Nacht auf der Straße sein würde. Und so war es auch, gegen 21 Uhr forderte die Polizei zum Verlassen der Blockade auf. Allerdings zog es sich mit der Räumung doch noch hin, denn die Wendländer Bauern haben mit Treckern wichtige Zufahrtsstraßen der Polizei blockiert, sodass die Anzahl an Polizisten vor Ort nicht für eine Räumung ausreichte. Erst gegen drei Uhr nachts waren wohl genügend Polizisten aus Sachsen anwesend – die Räumung begann. Doch da sie nur von einer Seite räumten, und unsere Blauwahl-Gruppe eher am anderen Ende der Blockade saß bzw. lag, konnte trotz Räumung noch gut und gern zwei Stunden geschlafen werden. Gegen fünf Uhr bin ich schließlich aufgestanden und habe meine Sachen in aller Ruhe im Rucksack verstaut, den Schlafsack zusammengestaut und schließlich auf die Polizei gewartet. Inzwischen hat die (Bundes-)Polizei angefangen auch am anderen Ende der Blockade zu räumen. Dies wurde leider erst sehr spät bemerkt, sodass die Polizei aufgrund fehlender Presse ruppig und ungeduldig gegen Blockade-Teilnehmer vorgehen konnte. Letztendlich mussten diese Bundespolizisten selbst von Lautsprechern der eigenen Polizei zur Mäßigung aufgerufen werden. Gegen halb sieben schließlich war es soweit, zwei fertig aussehende Bundespolizisten haben mit gespielter Freundlichkeit gefragt, ob ich denn freiwillig mitkommen würde. Ich verneinte natürlich, und so haben sie mich ein paar Meter weiter weg auf einen angrenzenden Fahrradweg getragen, wo sich meine Bezugsgruppe auch wieder gesammelt hatte. Anschließend sind wir gemeinsam zurück ins Zeltlager Gedelitz gegangen, denn den Strahlen des Castor-Transportes wollten wir uns nicht unnötig aussetzen.
Zur Räumung muss gesagt werden, dass die Polizei dort freundlich, deeskalierend und rücksichtsvoll agiert hat, wo Presse und Fotoapparate präsent waren, und dort unverhältnismäßig, ruppig und eilig agiert hat, wo diese fehlten. Es war also nicht verwunderlich, dass Blockierer regelmäßig die Presse zu sich gerufen haben.
Zurück im Camp habe ich mich endlich mal wieder umziehen können, habe das Zelt abgebaut, nochmal was gegessen und ein letztes Mal mit der kompletten Bezugsgruppe zusammengesessen, wo jeder von uns ein Resümee abgegeben hat, wie er die letzten Tage empfand. Die Marburger Mitglieder unserer Bezugsgruppe und ich haben letztlich gemeinsam den Rückweg gen Südwesten angetreten. Gegen 20 Uhr war ich wieder zu Hause in Biedenkopf.
Jetzt, einige Tage später und mit genügend zeitlichen Abstand, kann ich die Blockade-Aktion ruhigen Gewissens als Erfolg bewerten. Nicht nur konnte ich Protest zeigen und den Druck auf die Regierung zusammen mit ca. 5000 Mitaktivisten erhöhen, sondern die Tage im Wendland haben auch mir ganz persönlich einiges gebracht. Ich konnte neue Erfahrungen sammeln, die man eben nur sammeln kann, wenn man zwei Tage und zwei Nächte ununterbrochen auf der Landtstraße verbringt, ich konnte neue Menschen kennen lernen und Bekanntschaften schließen und auch einfach alles, was einem sonst im Alltag verfolgt, mal hinter mich lassen. Obwohl auf einer Landstraße „eingeengt“, war es doch ein bisher unbekanntes Gefühl der inneren Freiheit, welches mir hoffentlich auch zukünftig Antrieb sein wird. Von dem Bereich der Hygiene mal abgesehen: Die Castorblockade hat sich gelohnt und ich würde es sofort wiederholen.
Überraschend positiv waren auch die Reaktionen mir persönlich gegenüber im heimatlichen Hinterland. In die 11.Jahrgangsstufe wurde ich eingeladen, um einen mündlichen Erlebnisbericht abzugeben, mehrere Lehrer haben sich interessiert bekundigt, ein Biolehrer an meiner Schule hat gar selber Erlebnisse aus den 90er Jahren im Wendland mit mir ausgetauscht. Es ist wirklich nicht so, dass die Schule bzw. das Lehrerkollegium Teilnahme an politischen Aktionen auch während der Schulzeit strikt ablehnend gegenüber stände.
Nachtrag: Soeben kommt die Meldung, dass diverse Unions-Landesminister dafür sind, die zusätzlichen Polizeikosten auf die Demonstranten abzuwälzen. Es stimmt mich nachdenklich, dass der umweltbewusste und generell politische Protest von der Regierung nicht gewürdigt wird, wo sie doch sonst die angebliche Politikverdrossenheit der Jugend, die in Wahrheit aber eine Parteienverdrossenheit ist, bedauern. Anstatt die Möglichkeiten an politischer Partizipation auch außerhalb der Wahlkabinen zu fördern, versucht es die bürgerliche Regierung nun, diese einzuschränken und Aktivisten einzuschüchtern. Die Kriminalisierung Andersdenkender ist eigentlich Wesensmerkmal eines sg. Unrechtsstaates. Die Opposition in und außerhalb des Parlamentes, besondern die SPD, muss aufpassen, dass der Rechtsstaat und Möglichkeiten zur demokratischer Teilhabe nicht immer weiter eingeschränkt werden. Käme der Vorschlag der Justiz- bzw. Innenminister von Niedersachen und Bayern durch, dass Demonstranten für ihren Protest zahlen müssen, wäre dies ein eklatanter Eingriff in demokratische Grundrechte des mündigen Bürgers.
Links:
https://www.x-tausendmalquer.de/
http://www.castor2010.de/
Online-Artikel:
http://www.tagesschau.de/inland/castorkosten100.html
http://www.taz.de/1/archiv/detailsuche/?tx_hptazsearch_pi1[search_term]=castor&tx_hptazsearch_pi2[submit_button].x=0&tx_hptazsearch_pi2[submit_button].y=0
http://www.jungewelt.de/suche/index.php?and=castor&x=0&y=0&search=Suchen
Bilder:
http://www.publixviewing.de/index.php?cont=news&id=83&n=1
http://www.taz.de/index.php?id=bildergalerie&tx_gooffotoboek_pi1[fid]=1&tx_gooffotoboek_pi1[srcdir]=Castor-2010&tx_gooffotoboek_pi1[func]=combine
Videos:
http://www.spiegel.de/flash/flash-24723.html
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