Willkommen in der virtuellen Welt in Rot

Dieser Blog dient mehrerer Funktionen:
Einerseits um mit mir selbst ins Reine zu kommen, andererseits um interessierte Leser an den wissenschaftlichen Sozialismus von Karl Marx und Friedrich Engels heranzuführen.
Neben ideologischen Fragen werden hier bei Bedarf auch Themen aus der Alltagspolitik versucht darzustellen.

Dienstag, 24. August 2010

Religion & Atheismus

Mein Weg zu Marx war vorabsehbar. Eine Abneigung gegen die bestehende Ordnung war mir quasi angeboren, die Doppelmoral der bürgerlichen Gesellschaft schon immer ein Ekel. Die Religion aber war mir schon Feind, als ich die Grundschule verließ. Und zurecht. Wenn mich die bürgerliche Doppelmoral abstoß, so war die Doppelmoral der Religion, speziell der christlichen Religion, nur die Spitze des Eisberges. Nächstenliebe und Armut predigen, Kriege führen und in mächtigen Kathedralen leben, dies waren die Widersprüche, die mir vor 4 Jahren auffielen.
Eine von mir vor drei Jahren geschriebene Hausaufgabe beinhaltete folgendes:

„Doch die Menschheit verstand es selbst aus Jesus einen Kult zu ziehen, der den Großen Macht sicherte und die Kleinen weiter ausbeutete. Sie bauten ein Institut auf, dass für 1500 Jahre alle Macht an sich Band, den Menschen den „richtigen“ Glauben diktierte und für viel Blutvergießen sorgte: Die Römisch-Katholische Kirche. Ihre Macht sicherten sich die Geistlichen, im Namen Jesu Christi zu leben und zu handeln. Das größte Paradoxem, dass die Menschheit jemals erlebte. Ein Beispiel: Sie bauten große, mächtige Kathedralen. Jesu selber aber lehrte, im Freien zu predigen, da man möglichst einfach leben soll. […] Das Leben kann den Tod nicht bestimmen, also soll der Tod das Leben bestimmen. Menschen wollen jeden Tag ein bisschen sterben, um am Ende einen leichteren Tod zu haben. Dies kommt daher, dass alle drei monotheistische Religionen von ihren Gläubigen fordern: Preist das Jenseits. Und das ist für mich die schlimmste aller Schwächen der Religion. Denn wirklich an einem „Jenseits“, einem „Paradies“ zu glauben führt zwangsweise zu der Tatsache, dass man das „Diesseits“ nicht in vollen Zügen genießt. Wenn man sein jetziges, reales Leben nur als Übergangsphase zu einer besseren Welt ( in der man freilich nur kommt, wenn man brav an Gott und Christi glaubt, zur Kirche geht und damit der totalitären christlichen Kirche unverhofft mehr Macht verschafft ) sieht, verliert der Mensch an Kraft, den Drang zur Selbstverbesserung und den Weg zum Perfektionismus.“

Damals war ich zu inkonsequent und naiv, habe das entscheidende verpasst: Dieser Zustand wird nicht primär deshalb aufrecht erhalten, um den Menschen das Leben entscheidend zu erleichtern, im Gegenteil. Die Herrscher dieser Welt (d.h. die Bourgeoisie als ökonomisch herrschende Klasse) nutzen diese Funktion der Religion, um die Lohnarbeiter still zu stellen. Indem sie die Illusion von einem besseren Leben nach dem eigentlich irdischen Leben aufzeichnen, nehmen die Lohnarbeiter ihre Rolle als Sklaven des Kapitals notgedrungen in Kauf. „Religion ist das Opium des Volkes“, wie Karl Marx bereits in „Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“ anmerkte.
Wie sehr die Religion als schlichter Deckmantel der ökonomischen Verhältnissen existiert, wird klar, wenn man den Verlauf der Religion mit dem Verlauf der ökonomischen Produktionsverhältnissen vergleicht. Zeitgleich mit dem Absterben der antiken Sklavenhaltergesellschaft entstand das Christentum bzw. die monotheistischen Religionen allgemein als notwendige Vorraussetzung für die Feudalgesellschaft. Mit dem Aufkommen des Bürgertums im späten Mittelalter spaltete sich die einheitlich westlich-christliche Kirche in einem traditionalistischen Flügel um den Papst und in einem reformistischen Flügel um Martin Luther. Daraus geht hervor, dass der Mensch die Religion macht, nicht die Religion den Menschen. Der Mensch formt seine eigene Religion nach den Vorstellungen, die den entsprechenden realen, materiellen Verhältnissen am Geeignetesten zu sein scheint. Der Gott bzw. die Religion ist die phantastische Wirklichkeit des Menschen, d.h. der Ausdruck dessen, wie der Mensch sein sollte, und nicht, wie er ist. Der Mensch ist Perfektionist und strebt beständig nach höheren Formen -so wie alles in der Natur-, kann jedoch niemals perfekt sein, solange materielle Verhältnisse ihn einengen. Die Bedingung für das perfekte Wesen ist ein Ort ohne materielle Nöte, sprich das Paradies. Und da dies nicht real erreicht werden kann, soll der Mensch es illusorisch nach seinem Tode erreichen. Der Mensch schuf Gott nach seinem Ebenbilde, aber eben unter der Voraussetzung perfekter Bedingungen. Unter der herrschenden religiösen Vorstellungen lassen sich Rückschlüsse ziehen auf die realen Verhältnisse, mit denen sich die gläubigen Menschen herumschlagen müssen. Deshalb gilt:
„Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem der Protest gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volkes.“ (MEW 1, S. 378)

Die Religion und speziell der Glaube an eine übermenschliche Kraft, die die Menschen leitet und imstande ist, den Lauf der Dinge in der Welt zu verändern, vermittelt dem religiösen Menschen, der Zugleich Lohnsklave, also Knecht der kapitalistischen Produktionsverhältnisse und Funktionsorgan der bürgerlichen Gesellschaft ist, einen positiven Bezug zu seiner Unterdrückung durch den ihm auferlegten Arbeitszwang. Denn er glaubt, am Ende seiner irdischen Existenz erlöst zu werden, um danach das "wahre" Leben genießen zu können. Daraus folgt, dass er sich niemals gegen seinen Status als Lohnsklave und sein unfreies monotones Dasein wehren wird, denn er ist bereit, jegliche Leiden in Kauf zu nehmen und zu ertragen.

Als konkretes Beispiel den Bezug der Christen zur Arbeit: Jesus schleppte das Kreuz den weiten Weg zur Hinrichtungsstätte, um im darauffolgenden Moment unter unvorstellbaren Qualen auf perverse Art und Weise daran befestigt zu werden und schließlich zu sterben. Daher kommt der in christlichen Kreisen weit verbreitete Spruch "Jeder hat sein Kreuz zu tragen". Die Leiden, die das christliche Individuum durch die Arbeit erfährt, verbindet dieser mit den Leiden, die Jesus ertragen musste, um "die Menschen zu erlösen" und dabei selbst erlöst zu werden. Die eigene Unterdrückung wird dabei keine Sekunde lang in Frage gestellt. Masochistischer Nachahmerkult könnte den Charakter des Christentums treffend beschreiben. Ein Dasein in Unfreiheit fristen, in dem Glauben, man komme als Belohnung nach seinem Tode in den "Himmel". Es ist wahrhaft eine Realität, die an Lächerlichkeit und Naivität kaum zu überbieten ist.

Seit Kirchen und allgemein religiöse Institutionen existieren, sind diese bezeichnenderweise immer genau dann besonders aktiv in der Öffentlichkeit aufgetreten, wenn die unterdrückten Massen sich radikalisierten und aufrührerisch wurden, mit dem einfachen Ziel, das Volk zu beruhigen und somit Aufstände und Revolutionen im Keim zu ersticken. Dieses institutionelle Engagement war vor allem den Herrschenden von großem Nutzen (siehe kirchliche Bewegungen 1989 oder dem kirchlichen Antikommunismus der 20er und 30er Jahre).

Religion ist das Opium fürs Volk, wie Marx es schon vor 150 Jahren erkannte. Religion ist eine zutiefst antiemanzipatorische und reaktionäre Sache. Ihr anheimzufallen ist blanker Selbstbetrug und speziell auf die heutige Zeit bezogen Ausdruck dessen, wie effizient das herrschende kapitalistische System den Menschenverstand und die Achtung vor der eigenen Würde zerbröseln kann, sodass Menschen anfällig für den Glauben an eine höhere Macht werden.

Speziell der Protestantismus, aber auch das Christentum allgemein, ist die spezielle Religionsform des Kapitalismus. Beide entsprechen sich: In beiden Verhältnissen ist der Mensch so viel bzw. so wenig wert wie der andere auch („Vor Gott sind alle gleich“ in der Religion, „Vor dem Gesetz bzw. vor dem Fließband sind alle gleich“ im Kapitalismus). In beiden Verhältnissen hängt das glückliche, zufriedene Leben von bestimmten Faktoren ab (Glauben in der Religion, Kreditwürdigkeit im Kapitalismus). In beiden Verhältnissen muss man entweder auf die Gnade Gottes hoffen oder darauf, dass man als Privatperson bereits von Geburt an in Wohlstand lebst oder nicht.
Es ist im Sozialismus unabdingbar, dass der Staat sich vollständig von der Religion emanzipiert. Dies erreicht er nicht, indem er die Religion verbietet, sondern, indem er schlicht keine Religion mehr als „Staatsreligion“ anerkennt. Die Religion stirbt – so wie der fast gänzliche ideologische Überbau – von alleine ab, sobald die herrschenden Produktionsverhältnisse (konkret: die Diktatur des Proletariats) eben diese überflüssig machen. Die Religion stirbt vorallem deshalb ab, da das werktätige Volk erstmals bewusst die Natur benutzt zur planmäßigen Gestaltung ihrer Bedürfnisbefriedigung. Die Mystik des Kapitals, die die Entfremdung des Menschen von seiner Arbeit ausmacht, wird wie ein Nebelschleier abgeworfen und die Arbeiter verstehen die natürlichen Zusammenhänge, die sie nutzen werden zur aktiven Selbstgestaltung ihres Lebens. Der Eskapismus der Religion, das Sehnen nach etwas Überirdischen verliert seine Bedeutung, sobald die Naturgesetze verstanden werden durch die Bevölkerung.

„Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen sei.“ (MEW 1, S. 385)

Dennoch, für uns Kommunisten ist die Kritik an der Religion -trotz der hier behandelten Ausführlichkeit- rein sekundären Charakters. Einmal weil „Atheismus ist die Kritik des Himmels. Nötig ist aber die Kritik der Erde. Kritik der Religion heißt nicht Atheismus, sondern Wissenschaft“ (MEW 2, 116), andermal weil Religion eben nur den Überbau repräsentiert, der überflüssig wird, sobald sich die Basis verändert. Für ausgeprägte Materialisten ist der Atheismus unrelevant, da Atheismus selbst in den Schuhen der Religion steht. Atheismus ist die negative Anerkennung Gottes und überlebt sich somit, sobald man anfängt, in den Kategorien der realen materiellen Verhältnisse zu denken. Deshalb beinhaltet die Forderung nach Abschaffung einer jeden Staatsreligion auch gleichzeitig die Bedingung, den Atheismus nicht zur Staatsreligion zu erheben. Religion ist Privatsache und für wahre Materialisten ohne jegliche Bedeutung. Missachtet man dies und versucht die Religion staatlich zu unterdrücken, wie dies im revolutionären Frankreich 1793 der Fall gewesen ist, so tut man eben dieser Religion noch einen Gefallen, denn der Verfolgte findet stets mehr Anhänger als der Jäger.

Abschließend zum Thema Religion & Atheismus ein zusammenfassendes Zitat von W.I.Lenin:
„Wer sein Leben lang schafft und darbt, den lehrt die Religion Demut und Geduld im irdischen Leben und vertröstet ihn auf den himmlischen Lohn. Wer aber von fremder Hände Arbeit lebt, den lehrt die Religion Wohltätigkeit hienieden; sie bietet ihm eine wohlfeile Rechtfertigung für sein Ausbeuterdasein und verkauft zu billigen Preisen Eintrittskarten zur himmlischen Seligkeit. Die Religion ist das Opium für das Volk. Die Religion ist eine Art geistigen Fusels, in dem die Sklaven des Kapitals ihr Menschenantlitz, ihren Anspruch auf ein auch nur halbwegs menschenwürdiges Dasein ersäufen.“ (in: Sozialismus und Religion, 1905)